Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
überzeugt, dass das Bündnis zwischen Mica und Cassian auf tönernen Füßen stand, doch wollte er nicht derjenige sein, der es erschütterte. Micas Enkel waren gleichzeitig seine Enkel. Das stand im Vordergrund. Er würde Mica informieren. Aber erst nachdem Berenike den Köder für Branwyn gespielt hatte. Je eher sie sich dazu bereit erklärte, desto schneller war es erledigt.
Da ihm eine Ablenkung von Gilian und seinen Missetaten willkommen war, führte ihn sein nächster Weg vor die Kellerpforte. Sancho hing in einem Lehnstuhl und schlief den tiefen Schlaf eines alten Mannes. So versiert sein Omega in vielen Dingen war, er war ein schlechter Wachmann. Diese Aufgabe war ihm schlichtweg fremd. Ein sachter Stoß gegen die Schulter weckte ihn.
„Du solltest die Augen offen halten, Sancho.“
„Habe ich, Herr, habe ich! An mir kommt niemand vorbei“, beteuerte Sancho und rieb sich die Augen.
„Am besten, du gehst in die Küche und stärkst dich nach diesem harten Wachdienst“, meinte Juvenal und bückte sich durch die niedrige Pforte.
Nach wenigen Stufen vernahm er ihre Stimme. Leise und untermalt von einem einschmeichelnden Schnurren. Berenike hatte Gesellschaft bekommen.
„Ich komme sowieso hier raus. Also kannst du mir ebenso gut die Tür öffnen.“
„Eine falsche Bewegung, und du hast eine Kugel im Kopf.“
Am Fuß der Treppe blieb Juvenal stehen. Etliche Fackeln in den Wandhalterungen erhellten den Gang. Grishan stand am anderen Ende und richtete den Lauf einer Muskete in die Zelle. Seine Drohung, wie sollte es auch anders sein, brachte Berenike zum Lachen. Ein bestrickendes Geräusch, vor dem jeder vernünftige Mann die Ohren verschließen sollte.
„Willst du herausfinden, wie schnell eine Lamia ist?“
„Eine Kugel ist schneller.“
„Das muss sich erst erweisen. Bevor du abdrückst, solltest du eines wissen. Falls du mich verfehlst, ziehe ich dir das Fell über die Ohren, Miezekater.“
Der Musketenlauf kreiselte leicht. „Ich bin kein Miezekater. Keine Bewegung!“
„Grishan!“, bellte Juvenal und stürmte auf den jungen Werwolf zu.
Krachend löste sich ein Schuss. Pulverdampf hüllte Grishan ein. Er wich hustend zurück und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht.
„Herr?“, rief Sancho von oben.
„Alles in Ordnung!“
Entgegen dieser Behauptung war absolut nichts in Ordnung an einem schießwütigen Jungwolf. Juvenal entriss ihm die Muskete.
„Bist du noch bei Trost? Was hat sie dir getan, dass du eine Muskete auf sie abfeuerst? Was?“
Endlich einmal schien jeglicher Widerspruchsgeist von Grishan abgefallen. Er zog die Schultern nach oben und den Kopf ein. „Sie hat versucht, das Schloss …“
Juvenal streckte den Arm in Richtung Treppe. „Hinauf mit dir!“
„Aber sie hat …“
„Keine Debatten! Hier, nimm diese verdammte Muskete mit!“
Grishan klemmte die Waffe unter den Arm und trottete davon. Sein Hüftschwung ähnelte einem stummen, lasziven Aufbegehren. Miezekater. Irgendwie treffend. Nachdem die Pforte gedämpft zugeschlagen war, öffnete Juvenal die Zelle. Der Fackelschein aus dem Gang warf lange Schatten. Auf dem Tisch lagen die Seile. Von Berenike fehlte jede Spur. Zum Glück konnte er auch kein Blut entdecken. Er vermutete sie unter dem Tisch.
„Berenike, komm da unten hervor.“
„Er hat auf mich geschossen!“
„Ja. Und dich verfehlt.“
Daraufhin trat Schweigen ein. Die Hände locker in die Hüften gesetzt, wartete er, dass sie sich aufrichtete. Als dies nicht geschah, ging er in die Hocke. Sie kauerte unter der schweren Tischplatte aus Ebenholz. Der Duft ihrer Aufregung prallte gegen seine Nase. Intensiv und betörend. Gleich einem gehetzten Wild starrte sie ihn an. Der Schuss aus der Muskete hatte sie erschreckt. Es gab schlechtere Bedingungen, um mit einer Lamia zu einer Einigung zu gelangen.
„Ich weiß, wer du bist. Der Großmeister der Vampire ist dein Bruder“, sagte er betont gelassen.
„Ich kenne Mica seit vielen Jahren. Er ist der Verbündete von Cassian. Deine Nichte ist die Gefährtin meines Sohnes. Wir sind sozusagen verwandt.“
„Na und?“, fauchte sie hitzig.
„Vor langer Zeit habe ich einen Waffenstillstand mit Mica geschlossen. Da er nie gebrochen wurde, hast du von mir nichts zu befürchten.“
Reglos und aus schmalen Mandelaugen musterte sie ihn. Dieses Verharren unter einem Tisch entsprach keiner Mörderin. Das zumindest stand fest. Vermutlich brauchte sie noch etwas Zeit, bevor sie sich hervorwagte. Er
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