Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Raubkatze. Jetzt duckte sie sich leicht.
„Branwyn.“
Der Stimme nach war die Raubkatze Grishan. Branwyn war in London? Mica runzelte die Stirn. Ehe er die Verwechslung aufklären konnte, vollführte Sancho einen Schwenk und bleckte die Zähne, während Grishan reglos und zum Sprung bereit verharrte. Die Pupillen in seinen Goldaugen wurden weit. Kein Zweifel, vor ihm lauerte ein Gestaltwandler. Branwyn war in London und eine Raubkatze im Hort eines Werwolfs. Ersteres war zwar irritierend, Letzteres aber so bizarr, dass er ein Auflachen unterdrückte.
„Das ist nicht Branwyn“, grollte Sancho. „Das ist der Großmeister der Vampire. Der Goldene. Sei auf der Hut vor ihm, Grishan.“
Beruhigend hob Mica die Hände. „Ich komme in friedlicher Absicht.“
Der nächste Schrei gellte durch die Pforte. Eindeutig die Stimme einer Frau. Berenike war hier. Nur wenige Meter entfernt. Und sie litt Todesängste. Mit einem Satz war Mica an der Pforte, riss sie auf und flog schier die Treppe hinab. Ja, er hatte daran gedacht, Berenike eigenhändig auszuschalten. Gleichwohl traf ihr Schrei einen Nerv tief in seinem Inneren, der seine Kaltblütigkeit zunichtemachte. Sie war von seinem Blut und die Jüngste seines Volkes. Lamia wurden selten geboren und mussten um jeden Preis geschützt werden. Er war der Goldene – der Erhalt seines Volkes war seine Pflicht.
Weshalb war es plötzlich so still? Er überwand die letzten sechs Stufen mit einem Sprung und kam lautlos am Fuß der Treppe auf. Da war sie. Sie kauerte an der Wand zu seiner Linken wenige Schritte von ihm entfernt. Ein schmutziger Rock bauschte sich an ihren Oberschenkeln. Sie hatte einen Schuh verloren, und ihre Seidenstrümpfe hingen auf den Fußknöcheln. Abgesehen davon war sie heil und frei von tödlichen Wunden. Nachdem er das festgestellt hatte, gewann sein Ärger über ihre Dummheit erneut die Oberhand.
„Mistkerl!“, zischte sie hinter dem Vorhang ihres Haares und rieb über ihren Nacken.
Erst dieses Schimpfwort machte Mica auf jemanden an der rechten Wand aufmerksam. Er drehte den Kopf und staunte für einen Moment. Dieser Hort steckte voller Überraschungen. Juvenal de Garou war der Letzte, den er hier erwartet hätte. Zumal er vollkommen anders aussah, als Mica ihn kannte. Das Oberhaupt der Garou war gemeinhin von unerschütterlicher Selbstdisziplin, doch die Begegnung mit Berenike hatte ihn sichtlich zerrüttet. Das pechschwarze Haar klebte an seinen Wangen. Sein Atem kam stoßweise und Schweiß glänzte auf seinem Brustkorb. Es gab ziemlich viel nackte Haut zu sehen, denn nicht nur sein Hemd klaffte auf, auch seine Hose stand weit offen. Juvenal hatte die Hand über seine Blöße gelegt, was seinen Zustand jedoch nur schwer verbergen konnte. Aus schmalen Augen funkelte der Werwolf Berenike an.
„Niemals kam es mir in den Sinn, eine Frau zu schänden. Und bei einer Lamia werde ich garantiert nicht damit beginnen“, knurrte er. Seine Stimme bebte vor Zorn.
Mica sog die Wangen ein. So explosiv die Atmosphäre war, so interessant war sie auch. Er blickte zwischen den beiden hin und her, bemühte sich, die Schwingungen zu erspüren, die Signale zu deuten, die von ihnen ausgingen. Wut, Schreck, Abwehr ballten sich zu einer unsichtbaren Wolke, doch darunter verbarg sich eine unterschwellige Strömung aus Verlangen. Sieh an. Da er stumm geblieben war und die beiden außer sich selbst nichts wahrnahmen, war ihnen seine Gegenwart bisher entgangen. Grishan kam die Treppe herunter, stolperte und fing sich an der Wand ab. Hinter ihm folgten Sancho und die Rudelwölfin. Sie alle blieben auf der letzten Stufe stehen und glotzten auf Juvenal hinab.
„Herr?“, winselte Sancho und machte seinen Leitwolf auf sich aufmerksam.
Juvenal fuhr zusammen und bedeckte nun mit beiden Händen seine Erektion. Unter seinem wutentbrannten Blick beugten Sancho und die Wölfin ihre Köpfe. Einzig Grishan war zu schockiert, um den Blick abzuwenden. Mit einem tiefen Atemzug wandte Juvenal sich schließlich Mica zu.
„Was machst du hier?“
„Dasselbe könnte ich dich fragen“, gab er mit einem Seitenblick zu Berenike zurück.
Unentwegt rieb sie ihren Nacken und murrte Unverständliches. Undankbar wie eh und je. Dabei konnte sie von Glück reden. Die Wenigsten überlebten einen Zusammenprall mit Juvenal. Als Grishan den Mund öffnete, blaffte Juvenal ihn an.
„Kein einziges, verdammtes Wort will ich von dir hören!“
Schweigen war mithin das Klügste bei einem
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