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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Mädchen vor weiteren Torheiten dieser und anderer Art zu bewahren. Sicher dachte ihr Vater inzwischen ebenso.
    Irgendwo hinter ihm war plötzlich ein dumpfes Grollen zu hören. War irgendwo ein Haus eingestürzt? Besorgt sah sich Kettenburg über die Köpfe der Menschen hinweg in die Richtung des Geräuschs um. Jenseits der privaten Börsenhalle mit seiner schmucken, mit den Bildnissen Minervas, Merkurs und anderer Genien verzierten Fassade ragte schlank der hohe Türm der Nikolaikirche auf. Nur knapp hinter dem Gotteshaus stoben in großer Breite dunkle Wolken empor und verfinsterten den Himmel. Und noch immer ertönten alle zehn Minuten überall in der Stadt die Kirchturmglocken. Dies ging schon seit der Nacht so, nachdem die ersten Signalschüsse abgegeben worden waren. Bald draufhatte man die Kuhhörner der Brandwachen gehört, und der Türmer auf dem Michel hatte seine Fanfare geblasen. Glockenfeuer nannte man das. Und dies bedeutete Großalarm.
    Angeblich hielt Kandidat Wandt, einer der Prediger der Nikolaikirche, jetzt noch einen Gottesdienst in dem Gebäude ab. Kettenburg hielt dies für keinen guten Einfall.
    »Beiseite, Leute! Beiseite!« Drei berittene Dragoner drängten vom Rathausplatz kommend über die Brücke. Ihnen unmittelbar folgend zwängte sich ein Dutzend Wittkittel an den Passanten vorbei. Die Männer in ihrer weißen Schutzkleidung hatten Sturmleitern, Äxte, Sandsäcke und Wassereimer geschultert und blickten unter ihren Stulpenhelmen grimmig in Marschrichtung. Kettenburg hatte bereits auf dem Herweg, auf einem der Fleete, einen Löschzug bei der Arbeit beobachtet – auf einer der kleinen Schiffsspritzen. Doch dem brennenden Zucker, der wie ein Lavastrom aus einem der Speicher gequollen war, hatten sie mit ihrer Spritze nichts entgegensetzen können. Den Männern war es gerade noch gelungen, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Bedachte man, dass sie schon seit den frühen Morgenstunden im Einsatz waren, schien es ein Wunder, dass sie noch die Kraft aufbrachten, gegen das Feuer anzukämpfen.
    Endlich schaffte es der Polizeiaktuar, die Brücke hinter sich zu lassen und den Rathausplatz mit der Alten Börse, dem Kran, dem Commercium und der alten Waage mit der Statue Justitias auf dem Dach zu erreichen. Auch hier herrschte heilloses Durcheinander. Rechts von ihm, gleich vor der mit drei Türmchen verzierten Alten Börse und ihrem gepflasterten und mit Eisengittern umgebenen Platz, stapelte ein Dutzend Männer des Bürgermilitärs Pulverfässer auf einen Wagen. Offenbar wurden erste Sprengungen vorbereitet. Die Lage war also ernster, als er gedacht hatte. Sicher waren die Pfeffersäcke der Stadt jetzt froh, dass Hamburg seit dem letzten Jahr über eine neue Börse verfügte. Sie stand auf dem Adolphsplatz, der ein gutes Stück von der Feuersbrunst entfernt lag. Aber was machte er sich Gedanken? Bis hierher würde das Feuer nie kommen.
    Kettenburg schob sich an dem großen, runden Krangebäude vorbei und betrachtete besorgt das Meer der Flüchtenden, das über den Platz flutete. Darunter ein Maskenverleiher mit Napoleonskostüm und Stulpenstiefeln, eine alte Frau mit ihrem Federbett und eine Familie, die auf einem Karren ein altes Spinett in Sicherheit zu bringen versuchte. Jedes Mal wenn der Karren über eine Vertiefung des Kopfsteinpflasters rollte, gab das Instrument einen klirrenden Laut von sich. Jeder versuchte zu retten, was ihm lieb und teuer war.
    Ohne weiter auf das Durcheinander zu achten, stapfte der Polizeiaktuar auf das Rathaus zu, als er unvermittelt mit einem kleinen Mann mit dichtem Schnauzer und Zylinder zusammenstieß und auf das Pflaster stürzte.
    »Herrgott, passen Sie doch auf, Sie Kretin!« schrie Kettenburg. Er richtete sich auf seinem Dienststock auf und fühlte beim Auftreten einen leisen Schmerz. Wütend betastete er seinen Knöchel.
    »’tschuldigung.« Der Fremde erhob sich ebenfalls und reichte Kettenburg beiläufig Zweispitz und Aktentasche, die dieser bei dem Sturz verloren hatte. Doch der Blick des Mannes galt weiterhin der Feuersbrunst hinter der Nikolaikirche.
    Den kannte er doch! »Sind Sie nicht Hermann Biow, der beim Gartenrest der Lewalds heliographische Aufnahmen gemacht hat?«
    »Wie? Ja«, stieß der Photograph hervor und sammelte hastig den Inhalt eines kleinen Tornisters auf, der um sie herum verstreut lag.
    »Wegen Ihnen habe ich mir den Knöchel verstaucht«, raunzte der Polizeiaktuar.
    »Der Brand …«, raunte der Daguerreotypist und starrte weiter

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