Der Funke des Chronos
flüsterte er und deutete zu den ausgetretenen Treppenstuten, die in die Tiefe führten. Inzwischen hielt er seine Pistole wieder in Händen.
Tobias nickte seinen beiden Schicksalsgefährten zu und tastete sich an ihnen vorbei in die Tiefe. Er wusste nicht, wie lange er durch die Dunkelheit getappt war, als er das barocke Grabgewölbe der Michaeliskirche endlich erreichte. Nicht weit vom Treppenzugang wurde die Krypta vom Schein zweier Laternen spärlich beleuchtet. Der gesamte Untergrund der Kirche ruhte auf Alleen gedrungener Granitpfeiler, die die Gruft in große Segmente einteilte. Sarkophage waren nicht zu entdecken, man hatte die Toten vielmehr unter beschrifteten Sandsteinplatten im Boden bestattet. Doch für die tiefe Würde des Ortes hatte Tobias keinen Blick. Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr den drei Menschen inmitten der Lichtinsel, die vor ihm lag. Sie scharten sich rund um eine halb aufgehebelte Grabplatte: Justus Lewald, Caroline und Doktor de Lagarde.
Caroline lag gefesselt am Boden, während sich Lewald unter den Augen des Franzosen mit einer Brechstange an der Sandsteinplatte abmühte.
»Lagarde, Ihr Spiel ist aus!« brüllte Tobias und eilte dem Franzosen mit gezückter Klinge entgegen.
»Tobias!« rief Caroline verzweifelt. Hinter ihm drängten nun auch Heine und Borchert in das Gewölbe, und Tobias beobachtete aus den Augenwinkeln, dass Heine mit seiner Pistole geradewegs auf den Franzosen zielte. Der Arzt fuhr überrascht zu ihnen herum und zog ebenfalls seine Schusswaffe. Tobias erkannte erst jetzt, dass die andere Hand des Franzosen bandagiert war.
»Lassen Sie das!« brüllte der Dichter, und seine Stimme hallte in der Krypta seltsam verzerrt nach.
De Lagarde hielt mitten in der Bewegung inne und lächelte maliziös. »Bonjour, meine Herren. Welch unangenehme Überraschung. Isch sehe, isch habe Sie unterschätzt. Das passiert mir nur selten!«
»Lassen Sie Ihre Waffe fallen. Tout de suite!« hallte Heines Stimme erneut durch das Gewölbe.
»Isch denke, Sie sollten besser Ihre Waffen fallen lassen«, erklärte der Arzt kühl, »sonst könnte es passieren, dass es an diesem geweihten Ort zu einem – jetzt noch – vermeidbaren Unglück kommt. Hector.«
Aus dem Schatten zwischen zwei Säulen schräg hinter ihnen trat in diesem Moment der Mann mit den wulstigen Augenbrauen, dem Tobias und Heine schon auf dem Schiff begegnet waren. Seine Schulter war verbunden, doch er machte nicht den Eindruck, als behindere ihn die Verletzung sonderlich. Er hielt eine doppelläufige Pistole in den Händen und trieb einen Gefesselten mit großem Schnauzer vor sich her. Anhand seiner Kleidung war der Gefangene unschwer als Küster der Kirche zu erkennen. Er stöhnte, als ihm der Kerl von letzter Nacht die Waffe an den Kopf hielt.
»Nun, wie steht es jetzt, Monsieur?« Der Franzose lächelte Heine triumphierend an.
»Wir sind zu dritt!« rief Heine und zielte weiter auf den Arzt, während sich Borchert dem Diener de Lagardes mit der Axt näherte.
»Das ist richtig«, nickte der Franzose. »Aber zwischen mir und Ihnen exischtiert eine große Unterschied. Sie besitzen so etwas wie Moral, isch hingegen lasse misch in meine Streben durch solch unnötige gesellschaftliche Schranken nischt behindern. Allzumal die Waffe meines Getreuen hinter Ihnen zwei Läufe besitzt. Wünschen Sie eine kleine Demonstration? Hector.«
Hinter ihnen hallte ein lauter Schuss durch das Gewölbe, und ungläubig sah Tobias mit an, wie der Küster tot zu Boden sank. Der dicke Konstabler und Caroline stießen einen erstickten Laut aus. Doch da zielte der Untergebene des Franzosen bereits auf Heine.
»Konnte ich Sie überzeugen, Monsieur?« kommentierte der Franzose den kaltblütigen Mord. »Wenn Sie ein Mann sind, drücken Sie jetzt ab. Allerdings werden Sie dann in wenigen Augenblicken ebenfalls sterben. Also, Monsieur, zeigen Sie Ihren Begleitern, dass Sie Courage besitzen.«
Der Dichter schwieg. Sein Gesicht war kalkweiß, die Pistole in seiner Hand zitterte.
»Regrettable. Nun ist es zu spät«, höhnte de Lagarde und richtete seine eigene Waffe plötzlich auf Caroline. »O là. Die Situation wird immer verzwickter. Schießen Sie jetzt, sind es nun schon zwei, die sterben werden. Arme Mademoiselle.«
Heine atmete tief ein, entspannte den Hahn seiner Pistole und ließ die Waffe niedergeschlagen sinken.
»Weg damit!« forderte ihn de Lagarde auf.
Der Dichter legte die Waffe auf den Boden, der Arzt trat näher und stieß
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