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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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der Dichter sammelten Florett und Pistole auf und stürmten zusammen mit dem dicken Konstabler zur Tür.
    »Borchert!« rief Kettenburg. »Denken Sie daran, dass Sie jetzt Polizeibeamter sind. Machen Sie mir keine Schande.«
    Der Dicke hielt in der Tür inne und wandte sich feierlich zu seinem Vorgesetzten um. »Hebben Sie man kein Sorg, Herr Polizeiaktuar. Ik verspreche Ihnen, ik werd mien Bestes dohn. Hebben Sie mi doch gelernt.«

 

Aus der Tiefe rufe ich, Herr!
     
    Hamburg 1842, 5. Mai,
    eine halbe Stunde nach 1. Uhr am Mittag
     
    T obias und Heine eilten die schiefe und steile Fuhlentwiete hinunter in den Südwestteil der Stadt. Am jenseitigen Ende der Straße wirbelten auf großer Breite Flammen empor – und schwarzer Rauch verfinsterte den Himmel. Der Anblick war furchterregend. Tobias blieb kurz stehen, da sich hinter dem Giebel eines großen Ballhauses der Turm der Nikolaikirche abzeichnete, der nun lichterloh in Flammen stand. Funken sprühten aus den fernen Turmfenstern, und das Lärmen der Glocken überall in der Stadt erweckte den Eindruck, als hätten die anderen Kirchen ein Totengeläut angestimmt, um einen alten Kameraden zu Grabe zu tragen. Er lief weiter und musste immerzu Brandopfern, Schaulustigen, Löschtrupps und Soldaten aus dem Weg gehen, die die Straße von einem Ende bis zum anderen verstopften. Doch die Nikolaikirche war jetzt nicht ihr Ziel.
    Tobias folgte Heine, der nun rechts in eine breite Gasse einbog, die geradewegs auf den Michel zuführte. Auch hier kamen ihnen zahllose verzweifelte Bürger entgegen.
    Als sie die stolze Barockkirche mit ihrem mächtigen Uhrturm erreicht hatten, hielten sie kurz inne, um wieder zu Atem zu kommen. Das Glockengeläut über ihnen schallte hier besonders laut über den Platz. Weit hinter ihnen war der Konstabler zu sehen, der ihnen die ganze Zeit über laut schnaufend gefolgt war. Trotz seines Leibesumfangs schien der Dicke damit weniger Mühe zu haben, als Tobias vermutet hatte.
    »Sehen Sie doch, da!« rief er und deutete auf die schwarze Droschke des Arztes, die nicht weit vom Michel entfernt auf dem Kirchenvorplatz stand.
    »De Ingang tom Gruftgewölb«, keuchte der Polizeiofficiant, »is, glaub ik, unterm Turm.«
    »Wie ist eigentlich Ihr Name?« fragte Heine.
    »Bordiert. Jochen Bordiert«, schnaufte der Konstabler. »Is mi übrigens trotz de Umstände een Ehr, Sie kennlernt to hebben.«
    Heine lächelte leicht verlegen, während Tobias vergeblich nach dem beeindruckenden, von toskanischen Säulen getragenen Portalvorbau Ausschau hielt, das zu seiner Zeit den Fuß des Turms schmückte. Statt dessen war dort nur ein schlichter, in den Backsteinbau eingelassener Diensteingang zu erkennen.
    »Wir sollten keine Zeit verlieren«, mahnte Tobias und stürmte mit erhobenem Florett auf die Kirche zu. An deren Nordseite entdeckte er eine Gruppe von Rathausdienern und einfachen Arbeitern. Sie luden Kisten mit Akten, auf denen das Wappen Hamburgs zu sehen war, von einem Karren. Offenbar war die Ladung dazu bestimmt, im Michel in Sicherheit gebracht zu werden.
    Die drei Männer beachteten die Arbeiter nicht weiter, sondern hielten erst inne, als sie den Diensteingang an der Turmseite der Kirche erreicht hatten. Mit aller Kraft hämmerten sie gegen das Holz der Turmtür, und Tobias war erstaunt, als das Portal sogleich aufsprang. Es war unverschlossen. Sie schlüpften in eine düstere Halle, die eher einer geräumigen Rumpelkammer ähnelte als einem geweihten Ort. An den Wänden stapelten sich Werkzeuge, Balken und Kisten, und es roch nach Staub und Stein.
    Am anderen Ende der Kammer befand sich eine weitere Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Tobias lief darauf zu und warf einen Blick durch den Türspalt. Der Zugang führte zu dem großen Kirchenraum, in dem sich zahlreiche Gläubige zum Gebet eingefunden hatten. Doch wegen des Glockengeläuts über ihnen war die predigende Stimme des Pastors nur leise zu hören: »Schlagen wir nun angesichts dieser schweren Stunde Psalm 130, eins und vier auf: Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir; denn bei dir ist die Vergebung …«
    Tobias sah sich suchend um. »Und wo geht es nun zur Gruft?« flüsterte er.
    »Een Moment«, antwortete Borchert und nahm eine große Brandaxt von der Wand. Damit deutete er auf eine Gittertür neben einem großen Regal mit Altartüchern. Heine stürmte voran. Auch diese Tür stand einen Spaltbreit offen und quietschte, als der Dichter sie aufzog.
    »Wir müssen vorsichtig sein«,

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