Der Funke des Chronos
Stoffbahn eingewickelt. Tobias schlug nach einer Fliege, die sich ihm auf die Nase gesetzt hatte. Schnell jetzt.
Erneut fischte er nach seiner Armbanduhr, zog das Tuch beiseite und drückte auf den Beleuchtungsknopf, um im schwachen Licht der Uhr ein wenig besser sehen zu können. Entsetzt keuchte er auf.
Eine Leiche! Ein Toter lag mit heruntergerutschter Hose auf der Ladefläche und wies die Zeichen entsetzlicher Torturen auf. Doch am meisten bestürzte ihn der Zustand des Kopfs. Jemand hatte den Schädelknochen aufgebrochen. Tobias starrte auf eine blutiggraue Gehirnmasse.
Als Medizinstudent war ihm der Anblick von Leichen vertraut. Doch angesichts dieses unerwarteten Funds musste er würgen. Entsetzt wich er einen Schritt zurück und spürte im gleichen Augenblick eine Bewegung hinter sich – im Dunkeln. Schon packten ihn kräftige Hände und schleuderten ihn grob gegen die Hauswand. Er krachte gegen einen harten Holzbalken und schmeckte Blut. Wieder wurde er herumgerissen und diesmal mit dem Kopf voran gegen den Karren geworfen. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich mit den Händen zu schützen, dann erfolgte der Aufprall. Stöhnend stürzte er in den Staub der Straße. Sein Gegner stieß einen gutturalen Laut aus. Dass der Tote auf dem Wagen auf das Konto des Fremden ging, daran bestand für Tobias kein Zweifel. Wenn er nicht in wenigen Augenblicken ebenfalls tot neben der Leiche auf dem Wagen liegen wollte, brauchte er eine Waffe. Tobias fuhr herum und griff nach dem schweren Kristallstab in seinem Hosenbund. Plötzlich wurde er an der Jacke gepackt und erneut gegen den Karren gepresst. Säuerlicher Atem streifte sein Gesicht, dann schloss sich eine Hand um seine Kehle und drückte zu. Tobias wollte schreien, doch der einzige Ton, den er hervorbrachte, war ein ersticktes Keuchen. Voller Todesangst schlug er mit dem Elfenbeinknauf des Kristallhebels zu. Sein Gegner gab lediglich ein Grunzen von sich, packte seine Rechte und entwand ihm die Waffe. Der Würgegriff lockerte sich nicht. Tobias röchelte und versuchte unter Einsatz von Händen und Füßen den Klammergriff abzuschütteln. Vergeblich. Heiser lachte sein Gegner.
Eine Hand hatte Tobias noch frei. Verzweifelt griff er in seine Jackentasche. Dort fand er, was er suchte, und betätigte den Knopf. Das leise elektronische Summen drang ihm nur gedämpft an die Ohren. Die Hände des Gegners schlossen sich dabei noch fester um seine Kehle.
Zählen. Er musste zählen! 10 … 9 … 8 … Rote Nebel tanzten ihm vor den Augen … 7 … 6 … Seine Lungen brannten … 5 … 4 … Alles in ihm schrie nach Luft. Luft! Tobias zog das Blitzlicht seiner Kamera hervor, das er noch immer bei sich trug, schloss die Augen und drückte auf den Auslöser. Die Gasse wurde von einem Moment zum anderen in gleißende Helligkeit getaucht. Überrascht schrie sein Gegner auf. Tobias riss ein Knie nach oben und schaffte es, den Angreifer endlich von sich zu stoßen. Geblendet taumelte der Fremde zurück, stolperte und stürzte irgendwo vor ihm in die Gosse.
Erschöpft sackte Tobias vor einem der Karrenräder zusammen und füllte die Lungen keuchend mit Luft. Voller Todesangst kroch er tiefer in die Gasse hinein, in der Hoffnung, dass ihn die Dunkelheit verbarg. Erst als er sich sicher wähnte, blickte er zurück. Im Mondlicht, vor dem Ausgang der Gasse zum Kanal, zeichnete sich eine massige Gestalt ab, die wütend aufsprang, zurück zum Wagen stürmte … und ins Leere griff.
Der Kristallhebel! Der Kerl war im Besitz des Kristallhebels. Ohne ihn würde Tobias in dieser Zeit stranden. Erneut aktivierte er das Blitzlicht, das sich summend auflud, und tastete fahrig im Unrat der Straße herum. Seine Finger fanden ein Stück Holz.
Mühsam kam er auf die Beine und schlich zurück zum Wagen. Inzwischen war sein Gegner in die Hocke gegangen, um den Raum unter der Ladefläche nach ihm abzutasten. Tobias schlug zu. Dumpf krachte das Holzstück auf den Schädel des Mannes. Der jaulte auf und kippte zur Seite. Bevor Tobias nachsetzen konnte, hatte sich der Fremde schon wieder erhoben und hielt ein langes Messer in den Händen. Gewandt wich Tobias der Klinge aus. Er versuchte an eines seiner Fechtduelle zu denken, nur dass der Kampf diesmal tödlicher Ernst war. Abermals zückte er das Blitzlicht, und erneut flammte grelles Licht auf. Erstmals erkannte er Einzelheiten. Er kämpfte mit einem vierschrötigen Kerl mit kahlem Schädel und Bartstoppeln, der sich knurrend die Arme vor die Augen
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