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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Hinterkopf, und er verlor das Bewusstsein.

 

Caroline
     
    Hamburg 1842, 3. Mai,
    17 Minuten nach 8 Uhr am Morgen
     
    D e Weber is dohr, de Weber is dohr! Kümmt all ran vün fern un noh! De Bürsten sin all patente Ware un halten an de hunnertjohre!«
    Tobias erwachte mit bohrendem Kopfschmerz. Die schnarrende Stimme des Hökers auf der Straße drang ihm nur gedämpft an die Ohren. Und doch war sie es, die ihn geweckt hatte. Wie seltsam. Sonst war es in seiner Gegend eher ruhig. Wie spät mochte es sein?
    Er wälzte sich herum, um nach dem Wecker zu greifen … und krachte hart auf einen Dielenboden.
    Entgeistert starrte er auf den Nachttopf aus Porzellan gleich neben seinem Kopf. Er war mit kitschigen Schiffen bemalt und ragte halb unter dem altertümlichen Bettkasten hervor, aus dem er gefallen war. Tobias setzte sich hastig auf und versuchte den Schwindel niederzukämpfen, der ihn von einem Augenblick zum anderen übermannt hatte. Erst jetzt setzten die Erinnerungen wieder ein.
    Er befand sich … im Jahr 1842!
    Gehetzt sah er sich um. Er saß auf dem Boden einer kleinen Schlafkammer, deren niedrige Decke von mächtigen Balken gestützt wurde. Von draußen sickerte Tageslicht durch ein Fensterchen. Linkerhand erhob sich ein klotziger grüner Eichenschrank neben einer geschlossenen Tür. Gegenüber entdeckte er ein kleines Schreibpult, vor dem ein schlichter Holzstuhl stand. Jemand hatte dort seine Jeans, seinen Pullover und die Lederjacke abgelegt. Die Kleidung starrte vor Schmutz.
    Tobias erhob sich vorsichtig und kam erst jetzt dazu, sich selbst zu begutachten. Über seinem T-Shirt trug er ein langes Leinenhemd, das ihm bis zu den Knien reichte. Sein Kopf hingegen war bandagiert. Fassungslos schüttelte er ihn – und stöhnte erneut auf. Er hatte das Gefühl, unsichtbare Schmiede schlügen mit Hämmern auf seinen Hinterkopf ein. Nur langsam ebbte der Schmerz ab.
    Der Kristallstab! Tobias trat vorsichtig zu seiner Jacke und tastete sie ab. Erleichtert atmete er auf. Er war noch da. Ebenso wie seine Haustürschlüssel, die Kaugummis und …
    Himmel, seine Brieftasche fehlte! Darin steckte sein Ausweis. Hatte er sie während der letzten Nacht verloren? Oder – schlimmer noch – lag sie vielleicht im Keller des Uhrladens? In diesem Fall würden ihn in der Zukunft üble Scherereien erwarten. Falls es ihm gelang, die Zeitmaschine aus dem Kanal zu bergen. Falls es ihm überhaupt je wieder gelänge, in seine Zeit zurückzukehren. Tobias seufzte und kämpfte einen neuerlichen Anflug von Panik nieder.
    Vorsichtshalber hob er die Matratze des altertümlichen Bettes an und versteckte den Kristallstab darunter. Sicher war sicher.
    Anschließend wandte er sich dem schmalen Fenster zu. Es stand halb offen und war mit einem eisernen Riegel am Rahmen befestigt. Ein warmer Lufthauch streifte ihn. Neugierig blickte er hinab auf eine Straße, die von gediegenen Fachwerkbauten gesäumt wurde. Ein Bierwagen rollte vorbei, und er sah Leute in altertümlicher Kleidung vorbeihasten. Nur einen Steinwurf entfernt, umringt von Mägden und Dienstmädchen, stand ein Bürstenverkäufer mit einer Schiebkarre, die mit zahlreichen Schubladen ausgestattet war. Der Mann trug Zylinder, Leinenhose und eine abgewetzte Jacke – und pries noch immer in Knittelreimen seine Ware an:
     
    »Mamsell von’n Saal,
    kommen Sie schnell mal hendal!
    Was hat der Weber zu Kauf?
    Bürsten hat der Mann zu Häuf!
    Nehmen Sie eine mit rauf,
    oder ’n Schwanz von die kleine arabische Pferd,
    ist unter Brüdern vier Schillinge wert!«
     
    »Oh. Guten Morgen, Musjö! Ich sehe, Sie sind bereits wieder auf den Beinen? Wir hatten schon befürchtet, dass Sie schlimmere Verletzungen davongetragen hätten.«
    Tobias fuhr herum und entdeckte zu seiner Verblüffung jene junge Frau, die den Kahlköpfigen so mutig mit dem Schirm geschlagen hatte. Das Mädchen von der Fotografie … Sie stand in der Kammertür und musterte ihn aufmerksam aus großen, ernsten Augen. Sie mochte etwa zwanzig Jahre alt sein. Die linke Hälfte ihres schmalen Gesichts war noch immer gerötet, die Oberlippe leicht geschwollen. Ihr dunkles Haar trug sie zu gedrehten, seitlich herabhängenden Zöpfen geflochten, die in auffälligem Kontrast zu ihrem blassen Gesicht standen. Gekleidet war sie in eine braune Krinoline, ein Kleid mit enger Taille und glockenartig fallendem Rock, das nicht verbergen konnte, wie zierlich sie war. Erst jetzt bemerkte Tobias den Stapel Kleidung, den die junge Frau in

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