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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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sind?«
    Überrascht sah er auf, und Caroline fuhr schnell fort: »Amanda hat im Dezember letzten Jahres einen Verein zum Schutz von Tieren ins Leben gerufen. Ich half ihr dabei. Inzwischen sind wir über hundertundzwanzig Mitglieder. Wir möchten etwas dafür tun, dass die armen Geschöpfe in unserer Stadt nicht mehr so gequält werden. Mein Vater glaubt allerdings, wir wären gestern im Theater gewesen und dann auf dem Rückweg von diesem Mann überfallen worden. In Wahrheit …«
    Sie hustete erneut. Diesmal krampfartig.
    Tobias sah sie besorgt an. »Geht es Ihnen gut?«
    »Entschuldigen Sie.« Caroline rang nach Atem und fächerte sich Luft zu. Dann ereiferte sie sich weiter. »In Wahrheit wollten wir einen Hund aus dem Besitz eines Torfhändlers befreien. Das arme Tier tut uns so leid. Es ist halb verhungert, und doch muss es jeden Tag schwere Lasten durch die Straßen ziehen. Das ist … barbarisch. Ich war es, der Krischaan in die Sache mit hineingezogen hat. Unseren Kutscher. Ohne mich hätte sich die treue Seele niemals auf diese überaus delikate Unternehmung eingelassen. Mir ist natürlich sehr wohl bewusst, dass sich solch umtriebiges Tun für zwei junge Mamselln wie uns nicht schickt. Mein Vater wird sich außerordentlich echauffieren, wenn herauskommt, dass …«
    Tobias winkte ab. »Sie können sich auf mich verlassen. Ich schweige wie ein Grab.«
    »Danke! Auch im Namen Amandas.« Erleichtert sah sie ihn an, während die schnarrende Stimme des Straßenhändlers unten in der Gasse erneut zu hören war:
    »Hier, mein klein Deern, scheuer die Stube rein, un denn lass man dein Bräut’gam ein!«
    Die Leute auf der Straße lachten.
    Aalweber? Wo hatte Tobias den Namen bloß schon einmal gehört? »Sagen Sie, warum wird der Mann da unten Aalweber genannt? Er verkauft doch Bürsten.«
    »Ja. Aber am Nachmittag hökert er mit geräucherten Aalen. Und sollte er seine Schötschekarre eines Tages von Hunden ziehen lassen, werden wir ihm ebenfalls tüchtig auf die Finger klopfen!«
    Caroline nickte trotzig, raffte ihre Röcke und verschwand im Gang.
    Tobias schmunzelte. Greenpeace hätte sich über so engagierte Mitglieder wie sie gefreut. Für eine junge Frau des 19. Jahrhunderts war ihr Verhalten allerdings mehr als erstaunlich. So oder so, er war schon sehr gespannt, den Rest der Familie kennen zu lernen.

 

Corpus delicti
     
    Hamburg 1842, 2. Mai,
    9 Minuten vor 9 Uhr am Morgen
     
    T obias löste sich von der geschwungenen Dielentreppe und durchmaß staunend den weiträumigen Eingangsraum, der sich im Erdgeschoß des Lewaldschen Wohnhauses auftat. Schwarze und weiße Marmorfliesen kleideten den Boden schachbrettartig aus. Von der Decke hoch über ihm hing ein ausgestopfter Haifisch, die glänzenden scharfen Reißzähne gefährlich gebleckt. Von irgendwoher roch es nach Essen.
    Links von der Treppe, zur Straße hin, befanden sich zwei über beide Hausetagen reichende große Fenster, durch die helles Licht in die Diele fiel. Dazwischen lag der Windfang mit der Eingangstür; nicht weit von ihm entfernt stand ein Handkarren mit hochgestellter Deichsel. An den Wänden lehnten aufgerollte Bastmatten und eine lange Leiter; ein großes Eichenfaß und ein Geschirrschrank mit verhängten Butzenscheiben standen daneben. Tobias erinnerte das Interieur eher an ein Kontor als an eine Privatwohnung.
    Das geschäftige Treiben auf der Straße drang nur gedämpft an seine Ohren. Die Geräusche wurden vom schwermütigen Ticktack einer prachtvollen englischen Standuhr überlagert, die unter der Treppe zum Obergeschoß stand. Der mysteriöse Uhrmacher hätte ebenso seine Freude daran gehabt wie sein Fechtlehrer. Das versilberte Zifferblatt war von goldbronzenen Genien umgeben, und in einer Vertiefung ließ sich sogar das Datum ablesen. Unterhalb der Zeiger prangte ein verschnörkelter Schriftzug, der davon Zeugnis ablegte, wer dieses Meisterwerk der Uhrmacherkunst geschaffen hatte: William Jourdain, London.
    »Ah, da sind Sie ja«, erklang eine sonore Stimme. Tobias wandte sich um und entdeckte einen korpulenten Herrn Mitte Fünfzig. Sein ausladender Backenbart umrahmte ein Gesicht, das den Eindruck erweckte, gern und häufig zu lachen. Offenbar war es Carolines Vater. Er stützte sich auf einen Spazierstock mit bronzenem Griff, der die Form eines Engels mit auf den Rücken gefalteten Flügeln aufwies.
    Unbemerkt von Tobias war der Herr durch eine große Doppeltür getreten, die der Treppe unmittelbar gegenüber lag. Tobias

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