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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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zogen und die Speisekammern nach Proviant durchwühlten. Requirieren nannten die das. Und Heiligabend 1813 haben sie jeden aus der Stadt getrieben, der nicht genügend Lebensmittel und Brennholz für den Winter vorweisen konnte. Drüben in Altona sind sie dann jämmerlich erfroren. Fast tausendzweihundert Menschen.«
    »Vater!« unterbrach ihn seine Tochter mahnend.
    »Ja, ja, ich weiß. Aber ist doch wahr.« Ergeben winkte Lewald ab und schlürfte weiter seine Suppe.
    Tobias starrte missmutig auf seinen Teller. Korinthen? Ausgerechnet. Als Jakob unglücklich zu ihm aufschaute, zwinkerte er ihm verschwörerisch zu und verzog das Gesicht. Natürlich so, dass es der alte Lewald nicht bemerkte. Vergnügt grinste der Kleine zurück, und gemeinsam machten sie sich über die dunkelbraunen kleinen Feinde in ihrer Suppe her.
    Schweigend aß die Familie, und eine Weile waren nur das Klappern des Geschirrs und ein gelegentliches Hüsteln von Caroline zu hören. Offenbar litt sie an einer Bronchitis. Hin und wieder bemerkte Tobias, dass sie ihn verstohlen musterte. Und jedes Mal lief ihm ein Kribbeln über den Rücken. Er wusste nicht, ob es von der Angst herrührte, dass man ihm seine Ausrede mit dem Gedächtnisverlust nicht glaubte, oder weil sie so hübsch war.
    Er schüttelte den Gedanken ab. Er musste einen Weg finden, diese verdammte Zeitmaschine wieder zu finden. Er gehörte nicht hierher. Meine Güte, wenn er gestern hätte raten müssen, wo er sich heute aufhalten würde – niemals wäre er darauf gekommen. Dabei war dieses Gestern genau genommen das Morgen in weit über hundertfünfzig Jahren.
    »Heute Nachmittag kannst du dir den Bauch mit etwas anderem voll schlagen«, wandte sich Justus Lewald an seinen Sohn. Als er Tobias’ fragenden Blick bemerkte, fügte er hinzu: »Ich hatte letzte Woche Geburtstag. Meinen sechsundfünfzigsten. Aber da war ich leider nicht in der Stadt. Also habe ich für heute Nachmittag zu einem kleinen Empfang auf unserem Landsitz an der Elbchaussee geladen.«
    Landsitz? Tobias wurde erst jetzt klar, wie reich Lewald sein musste.
    »Neben den Herren der Hamburg-Bergedorf-Eisenbahn-Gesellschaft habe ich auch eine Handvoll Mitglieder der Patriotischen Gesellschaft sowie einige gute Freunde eingeladen. Sie, mein Lieber, sind natürlich ebenfalls willkommen.«
    »Oh, danke. Ich fühle mich geehrt. Ich vermute, Sie alle haben heute noch viele Vorbereitungen zu treffen.«
    »Nein. Alles ist längst geplant.« Caroline betupfte sich die Lippen mit einer Serviette. »Immerhin habe ich schon die letzten fünf Tage in unserem Landhaus verbracht, um alles vorzubereiten. Der Rest liegt jetzt in den Händen unseres Verwalters, des Herrn Groth. Er ist sehr zuverlässig. Ich denke, du wirst begeistert sein, Vater.«
    »Natürlich, wie immer«, erwiderte dieser. »Schließlich besitzt du das Geschick deiner Mutter, Gott habe sie selig.«
    Tobias blickte von seiner Suppe auf und beschloss vorsichtshalber, auf die letzte Bemerkung nicht weiter einzugehen. Als Hannchen die Hechtklöße auftischte, wandte sich Justus Lewald erneut an den Studenten. »Vorher sollten wir aber noch einmal auf den Zwischenfall von letzter Nacht zu sprechen kommen. Leider bin ich erst heute morgen von einer Geschäftsreise zurückgekehrt. Sie können sich also vorstellen, wie aufgebracht ich war, als Caroline mir berichtete, was gestern geschehen ist. Waren Sie ebenfalls im Theater?«
    Eine Fangfrage? »Wie ich schon sagte, ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur, dass mit dem Kerl, der die Kutsche überfiel, nicht zu spaßen war.«
    Betont gleichmütig aß er weiter. Herrlich! Diese Hechtklöße schmeckten wider Erwarten vorzüglich.
    »Nun, ich hoffe, die Polizei wird den Mann fassen, bevor er weitere Bürger überfällt.« Carolines Vater zückte seine Taschenuhr. »Eigentlich sollte Kettenburg schon längst hier sein. Ich hatte ihn zum Essen eingeladen.«
    »Kettenburg?« Caroline schaute fragend auf.
    »Einer der beiden Polizeiaktuare. Vor einer Stunde habe ich ihm eine Nachricht zukommen lassen.«
    Ein Polizist? Tobias verschluckte sich fast. Auch Caroline neben ihm versteifte sich unmerklich.
    Als habe der Beamte nur auf dieses Stichwort gewartet, klopfte es an der Haustür. Hannchen eilte in die Diele und kam wenig später mit einem dunkelhaarigen, hageren Mann zurück, dessen auffallendste Kennzeichen eine Hakennase, ein blauroter Uniformrock sowie ein Dienststock mit dem Wappen der Stadt Hamburg waren: weißes Tor

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