Der Funke des Chronos
schon Bekanntschaft gemacht hatte.
Der Mann trug zwei Wassereimer. Als er die Gesellschaft im Speiseraum erblickte, blieb er stehen, stellte die Eimer ab und riss sich die Mütze vom Kopf. »Moin.«
Der alte Lewald schaute kurz auf und seufzte.
»Guten Morgen, Kristian. Ich dachte eigentlich, dass unser Haus einen Hintereingang besäße.«
»Tut mir leid, Herr Lewald. Kummt nich wedder vor. Denn wüll ik mol.« Der Bedienstete der Lewalds warf Tobias einen misstrauischen Blick zu und war kurz darauf mit seiner Last verschwunden.
Die Haushälterin wandte sich vertraulich an Caroline, während sie Justus Lewald Suppe in den Teller füllte. »Krischaan hat sich heute morgen wieder Wasser aus dem Brunnen am Großneumarkt andrehen lassen. Und das, obwohl ich ihm schon so oft gesagt habe, dass ich damit nicht kochen kann. Es ist viel zu hart.«
»Damit hat es ohnehin bald ein Ende«, brummte Lewald und schlürfte seine Suppe. »Ich habe bereits mit Wasserbaudirektor Woltmann gesprochen. Noch in diesem Jahr wird unser Stadthaus an eine der Brunnenleitungen angeschlossen.«
»Sag bloß, Vater!« entfuhr es Caroline keck. »Sonst beschäftigst du dich doch bloß mit Erfindungen, bei denen es laut dampft und zischt.«
Hannchen und sie lachten, und Tobias wurde klar, warum all die Ölgemälde ringsum altertümliche Lokomotiven zeigten. Jede ähnelte einem liegenden Fass auf vier Rädern, an deren Front man ein langes Ofenrohr angebracht hatte.
»Sie sind ein Eisenbahnliebhaber?« wollte Tobias wissen.
Caroline verdrehte die hübschen Augen. »Dampflokomotiven, Dampfschiffe, Montgolfieren, neue Schießgewehre, Daguerreotypien … was Sie wollen. Wenn heute etwas neu erfunden wird, dann können Sie davon ausgehen, dass mein Vater morgen bereits in einer Kutsche sitzt und dem Erfinder einen Besuch abstattet.«
»Nun, jetzt übertreibst du aber, mein Liebes.«
»Ich finde das sup … äh, fabelhaft!« begeisterte sich Tobias.
Justus Lewald schmunzelte. »Dann sollten Sie erst einmal mein physikalisches Kabinett sehen, junger Mann. Es befindet sich draußen auf unserem Elbgrundstück. Bei alledem handelt es sich mitnichten um die Spinnerei eines alten Mannes. Meine Tochter verschweigt, dass wir heute in weitaus bescheideneren Verhältnissen leben würden, wenn ich nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und vor ein paar Jahren in Eisenbahnaktien investiert hätte. Als vor sieben Jahren die erste deutsche Strecke von Nürnberg nach Fürth gebaut wurde, war ich mit dabei. Und das gegen den Widerstand der Kassandrarufer überall im Deutschen Bund. Allen voran die ach so gelehrte Ärzteschaft. Angeblich würde man bei den hohen Geschwindigkeiten geisteskrank werden.« Lewald tippte sich vielsagend gegen die Stirn. »Die gelehrten Herren hätten sich besser selbst untersuchen sollen. Auch ’39, bei der Strecke Leipzig-Dresden, habe ich investiert. Da sehen Sie.« Er deutete zu einer der altertümlichen Lokomotiven an der Wand. »Das ist die Saxonia, die erste auf deutschem Boden gebaute Dampflok. Im gleichen Jahr haben wir die Taunusbahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden eröffnet. Und schon in wenigen Tagen wird nun endlich auch in unserer geliebten Hansestadt der Fortschritt Einzug halten. Dann werden wir ganz offiziell die Strecke von Hamburg nach Bergedorf einweihen. Diese drei Meilen sind aber erst der Beginn. In zwei oder drei Jahren wird das Streckennetz vielleicht schon bis nach Berlin reichen. Sofern sich die Preußen nicht querstellen. Ich prophezeie, dass wir es alle noch erleben werden, wie man die Stadtwälle Hamburgs einreißt, um Platz für eine neue Zukunft zu schaffen, die ohne Postkutschen und ohne Pferdefuhrwerke auskommt.«
»Vater, du ereiferst dich.«
Lewald seufzte. »Sehen Sie, mein junger Freund, das hat man davon, wenn im eigenen Haus ein Weiberregiment herrscht. Lassen Sie es nie so weit kommen. Da bemüht man sich, dem Fortschritt zu dienen – und das ist der Dank.«
Die beiden Frauen rollten amüsiert mit den Augen.
»Was gibt es denn?« wollte Jakob wissen, als ihm Hannchen ebenfalls den Teller füllte.
»Sauerampferbrühe mit Korinthen und danach Hechtklöße mit Ochsenmarkpudding«, antwortete die Haushälterin freundlich.
»Uäh, ich mag keine Korinthen.«
»Nu sei ma nich so krüsch!« ermahnte ihn Caroline.
»Während der Franzosenzeit«, brummte Lewald, »waren wir schon froh, wenn es wenigstens Graupen gab. Ich weiß noch, wie Bonapartes Soldaten von Haustür zu Haustür
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