Der Funke des Chronos
und warf einen knappen Blick zum strahlendblauen Himmel hinauf. »Wir haben Glück, die Lichtverhältnisse sind günstig. So lang anhaltendes gutes Wetter hatten wir Anfang Mai selten. Wenn Sie mir freundlicherweise sagen könnten, wo ich meine Ausrüstung aufbauen darf, so will ich in Kürze gern mit meiner Arbeit beginnen.«
»Wenn Sie mich beide für einen Augenblick entschuldigen wollen«, wandte sich Lewald an Tobias und de Lagarde und führte den Daguerreotypisten und seinen Helfer zu einem freien Platz nahe einer großen Linde.
Der Franzose musterte Tobias unter einem dichten Busch schwarzer Brauen und lächelte, ohne dass dieses Lächeln seine dunklen Habichtsaugen erreichte. Der maßgeschneiderte schwarze Gehrock und der unpassende hohe Kragen mit der schwarzen Binde trugen angesichts des warmen Frühlingstags kaum dazu bei, den Charme des Mannes zu steigern.
»Sie also sind der Hausarzt der Lewalds?« eröffnete Tobias vorsichtig das Gespräch.
»Oui, Monsieur. Mein Name ist François de Lagarde, Docteur der médecine. Sie haben Mademoiselle Lewald gestern Abend bei die schändlische Raubüberfall zur Seite gestanden?«
Tobias strich sich das Haar zurück. »Ja, so ist es. Herr Lewald hat Sie also bereits über die Geschehnisse unterrichtet?«
»C’est vrai, mon ami. Monsieur Lewald war so freundlich, misch über Ihr Malheur in Kenntnis zu setzen. Amnesie? Ein Fall wie der Ihre weckt natürlisch mein berufliches Interesse. Sie können sisch wirklich an nichts erinnern?«
»Nein«, gab sich Tobias zerknirscht.
»An gar nichts?«
»Nein, wie ich Ihnen schon sagte«, erwiderte er feindseliger, als er es vorgehabt hatte.
»Déplorable! Natürlich. Aber Monsieur Lewald besteht darauf, dass ich Sie untersuche, solange Sie seine Gastfreundschaft genießen.« Der Franzose fixierte ihn mit stechendem Blick. »Isch bin mir sicher, dass wir einen remède gegen Ihr Leiden finden. Ein Heilmittel. Suchen Sie misch doch morgen in meine Cabinet auf. Ich praktiziere an der Ecke Brandstwiete und Große Reichenstraße.«
De Lagarde zückte eine Visitenkarte und hielt sie Tobias unters Kinn. Es hätte auch eine scharfe Rasierklinge sein können, der Gestus war derselbe. Widerwillig nahm Tobias sie an sich. »Ich weiß allerdings nicht, ob ich schon morgen Zeit finde.«
»Ne parlez pas d’absurdité!« zischte ihn der Arzt unfreundlich an. »Natürlich werden Sie kommen. Wir wollen doch nicht, dass man Sie am Ende für einen menteur hält. Einen Lügner. Kommen Sie allein. Sicher wird es ein aufschlussreicher traitement. Au revoir, Monsieur.«
Mit überheblichem Lächeln ergriff der Arzt ein Champagnerglas und ließ Tobias stehen. Wütend schluckte der einen Fluch hinunter. Dieser Mistkerl legte es darauf an, ihn vorzuführen. Und er machte keinen Hehl daraus, dass er ihm nicht ein Wort seiner Geschichte abnahm.
Na warte. Tobias legte ein Stück Kuchen auf einen der bereitliegenden Porzellanteller und schlenderte hinüber zu Frau Kommerzienrat Weber.
»Entschuldigen Sie. gnädige Frau. Unser Gespräch ist beendet. Der Herr Doktor steht Ihnen wieder zur Verfügung.«
Erfreut bedankte sich die Dame und eilte hinüber zu de Lagarde, der dem Studenten nun seinerseits einen wütenden Blick zuwarf.
Touche! Ein böses Lächeln umspielte Tobias’ Lippen.
Er wollte sich schon wieder auf die Suche nach Caroline begeben, als er Polizeiaktuar Kettenburg erblickte, der die große Terrasse soeben betreten hatte. Aufmerksam suchte der Beamte das Gartengelände ab. O nein, der nicht auch noch!
Möglichst unauffällig schlenderte Tobias auf eine Baumgruppe auf der elbwärts gelegenen Gartenseite zu. Er hatte keine Lust, auch diesem Polizisten noch einmal Rede und Antwort zu stehen.
Während er die Gartengesellschaft hinter sich ließ, holten ihn seine Sorgen wieder ein. Mit diesem Versteckspiel würde er nicht ewig Erfolg haben. Er musste endlich die verdammte Zeitmaschine finden und in seine Zeit zurückkehren.
Trotz seiner Vorliebe für Süßes stellte er den Kuchenteller unangetastet auf einer weiß gestrichenen Holzbank ab. Inzwischen war ihm der Appetit vergangen.
Die Maske. Wie konnte er mit ihrer Hilfe den Kahlköpfigen finden? Ganz abgesehen davon war ihm inzwischen auch wieder dieser geheimnisvolle Satz in den Sinn gekommen, den der Uhrmacher zu seiner Zeit ausgesprochen hatte.
Wie hätte ich dir eine Geschichte plausibel machen sollen, die für den einen von uns die Vergangenheit, für den anderen aber die
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