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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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finden Sie dann Buden mit allen möglichen Essbarkeiten. Und vorn Spielbudenplatz her kommen Gaukler und Jongleure, während die vornehme Welt das Getümmel aus der Ferne in ihren Equipagen beobachtet. Aber wenn Sie die kummervollen Gesichter der Kinder einmal gesehen hätten, verstünden gerade Sie sicherlich, dass Hamburg auf diese Einrichtung nicht sehr stolz sein sollte.«
    Ungläubig schüttelte er den Kopf. Welch demütigender Brauch!
    »Meine Mutter hat das Waisengrün nie gutgeheißen. Als wir zu Wohlstand kamen, hat mein Vater ihren letzten Wunsch erfüllt und eines der Kinder bei uns aufgenommen: Jakob.«
    Tobias blickte seine Begleiterin ernst an. »Ihre Mutter muss eine sehr nette Frau gewesen sein, Mamsell Lewald. Ich denke, sie wäre heute stolz auf Sie.«
    »Danke.« Sie warf ihm ein scheues Lächeln zu. »Wollen wir wieder zurück?«
    »Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, aber Polizeiaktuar Kettenburg ist inzwischen eingetroffen.«
    »Ach was!« wiegelte sie leichthin ab. »An einem so schönen Tag wie heute sollten wir uns von niemandem die Laune verderben lassen. Weder von diesem Polizeiaktuar noch von sonst jemandem. Und nun kommen Sie. Oder wollen Sie es ernsthaft verpassen, wenn mein Vater einmal eine neue Erfindung ins Haus holt, die etwas Amüsement verspricht?«

 

Das physikalische Kabinett
     
    Elbchaussee 1842, 2. Mai,
    12 Minuten nach 4 Uhr am Nachmittag
     
    W iderwillig ließ sich Tobias von Caroline in den Garten zurückfuhren, wo Hermann Biow und sein heliographischer Apparat bereits von einem guten Dutzend Gästen umlagert wurden. Sein schlaksiger Gehilfe hatte die Leinwand inzwischen aufgebaut. Ein kitschiger antiker Säulentempel war darauf gemalt.
    »Im Gegensatz zu den Apparaten, die Daguerre und Giroux selbst herstellen«, wandte sich Biow an die Umstehenden, »arbeite ich mit einer neuen Kamera aus der Werkstatt eines Wiener Optikers. Sie ist etwa sechzehnmal so lichtstark wie Daguerres eigene Kameraoptiken. Also, wer möchte als erstes?«
    »Nun, kommen Sie, Mamsell Lewald!« forderte der Botaniker John Booth Caroline auf. »Ihnen gebührt die erste Aufnahme.«
    Unter dem Applaus der Umstehenden nahm Lewalds Tochter auf dem Stuhl vor der Leinwand Platz. Biow drapierte ihre Locken, rückte ihr Gesicht etwas ins Sonnenlicht und eilte zurück zu seinem Apparat, um eine Fotoplatte in die Kamera zu schieben.
    »Ich bitte Sie, einige Augenblicke lang still sitzenzubleiben.«
    Schmunzelnd betrachtete Tobias seine hübsche Bekannte – und wurde blass. Himmel, jetzt begriff er: ihr Gesicht, der Säulenbau im Hintergrund …
    Soeben entstand jenes Foto, das ihm der mysteriöse Uhrmacher zugeschickt hatte!
    Tobias entfernte sich hastig aus der Reihe der Umstehenden und nestelte am Rand einer Hecke nach dem Foto, das er Kristian gegen Mittag wieder abgenommen hatte. Da seine Hose über keine Taschen verfügte, trug er es in seinen Ärmelaufschlägen versteckt. Tatsächlich. Was er soeben miterlebte, war gespenstisch. Er drehte das Bild um und musterte erneut die krakelige Handschrift des Uhrmachers. Nosce teipsum!
    Erkenne dich selbst!
    Verdammt, das musste etwas zu bedeuten haben. Aber nur was?
    Er wollte sich gerade wieder zu dem Daguerreotypisten begeben, als er hinter der Hecke die Stimme von Polizeiaktuar Kettenburg vernahm.
    »… Ihnen jetzt noch nicht erzählen. Sie müssen sich das selbst ansehen. Die Polizeibehörde wäre Ihnen aber überaus dankbar, wenn Sie uns bei der Angelegenheit helfen würden.«
    Hastig duckte sich Tobias, um nicht entdeckt zu werden, und tat so, als wäre er mit seinen Schuhspangen beschäftigt. Vorsichtig schob er einige Zweige beiseite.
    Der Polizeiaktuar näherte sich auf der anderen Seite in Begleitung eines hohlwangigen Mannes mit hoher Stirn und tiefliegenden Augen.
    »Das klingt überaus interessant. Wirklich, furchtbar interessant!« hörte er den Fremden murmeln. Der Mann trug einen Maßanzug aus schottischem Tweed, und sein Akzent war unverkennbar der eines Engländers. Offenbar handelte es sich um diesen Ingenieur, von dem Lewald gesprochen hatte: William Lindley.
    »Sehr gern werde ich Ihnen bei Ihrem Problem helfen. Sie müssen mir nur sagen, wo Sie sie hingebracht haben.«
    »Ins Rathaus. Dort lagert sie in einem alten Dokumentenkeller.«
    »Im Rathaus? Warum dort?« wollte der Engländer wissen.
    »Ich gestehe, der Keller ist ein Notbehelf«, erwiderte Kettenburg. »Die Speicher sind Privateigentum, und das Stadthaus der Polizei

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