Der Funke des Chronos
darauf, die Lampe zu entzünden. Statt dessen öffnete er vorsichtig die Zimmertür. Auf dem dahinter liegenden Gang umfing ihn Dunkelheit. In der Villa war es ruhig.
Soweit Tobias wusste, befand er sich in dem Hausflügel mit den Gästezimmern ganz allein. John Booth, der Botaniker, war zwar gegen Sonnenuntergang ziemlich betrunken gewesen, doch Herr und Frau Kommerzienrat Weber hatten sich schließlich erweichen lassen, ihn in ihrer Droschke mitzunehmen. Hannchen und Jakob waren bereits am späten Nachmittag wieder zurück in die Stadt gefahren, da der Kleine am morgigen Vormittag einen Termin beim Schneider hatte. Caroline und ihr Vater schliefen im gegenüberliegenden Trakt des Gebäudes, doch der war nur über einen separaten Zugang im Erdgeschoß zu erreichen. Die Hausangestellten wiederum waren in Räumen irgendwo nahe der Küche einquartiert.
Barfüßig tastete er sich an einer der Gangwände entlang zur großen Freitreppe vor, um hinunter in die stattliche Eingangshalle der Villa zu spähen. Durch zwei große runde Fenster auf der Höhe des ersten Stockwerks war der Mond zu sehen, der auch diesen Teil des Hauses in aschgraues Zwielicht hüllte. Nichts. Er musste sich geirrt haben. Schon wollte er wieder zu seinem Bett zurückeilen, als irgendwo weiter unten ein gedämpfter Schrei zu hören war. Es folgte ein Rumpeln, dann wurde es wieder still.
Himmel! Der Schrei klang ganz nach Groth, dem Hausverwalter. Offenbar war tatsächlich jemand in die Villa eingebrochen. Tobias schaute sich aufgeregt nach einem Gegenstand um, den er als Waffe benutzen konnte. Doch bis auf einen großen Blumenkübel war der Gang hinter ihm leer. Dann eben so. Aufgeregt packte er die Laterne und schlich vorsichtig die Treppenstufen nach unten. Dabei tappte er verstohlen an den Bildern mit den Dampfschiffen vorbei, durchmaß die Halle und presste das Ohr gegen das Holz jener Tür, die zu den vornehmen Räumlichkeiten des Anwesens führte. Ein leises Splittern drang nur gedämpft zu ihm durch und klang wie das Brechen von Holz.
Er musste Lewald und Caroline Bescheid geben. Doch nur wie?
Tobias sah sich um und entdeckte neben der Treppe eine schmale Tür, die zum Dienstbotentrakt führte. Richtig, er würde die anderen Hausangestellten wecken. Er eilte auf die Tür zu und war überrascht, dass sie offen stand. Ein süßlicher Geruch empfing ihn.
Der Geruch erinnerte ihn an ein … Krankenhaus.
Verwirrt tastete er sich weiter, warf einen Blick in die leere Küche und gelangte schließlich zu einem Raum, der sich als Schlafkammer der Dienstmädchen erwies. Die beiden Frauen lagen in ihren Betten; der eigentümliche Geruch war in diesem Zimmer besonders intensiv. In der Dunkelheit versuchte er Henriette wachzurütteln, doch sosehr er sich auch bemühte, das Mädchen gab lediglich ein unverständliches Murmeln von sich. Plötzlich knirschte es unter seinen Füßen, und ein scharfer Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Er war in Glassplitter getreten. Der Boden der Kammer war damit übersät. Was war hier geschehen?
Tobias tastete nach der Wunde und taumelte dabei gegen eines der Betten. Ihm schwindelte. Himmel! Dieser penetrante Geruch – das war Chloroform!
Man hatte die Hausangestellten narkotisiert. Seines Wissens war es noch nicht lange her, dass man Chloroform entdeckt hatte. Dies zeugte von höchster krimineller Energie.
Rasch humpelte er aus der Kammer und zog sich das spitze Glasstück aus dem Fußballen. Der Schmerz ebbte schnell ab. Wütend eilte Tobias zurück in die Eingangshalle, wo er seine Lungen mit frischer Luft füllte. Wer auch immer in die Villa eingedrungen war – er würde ihm die Suppe versalzen.
Sorgsam bedacht, kein Geräusch zu verursachen, öffnete er die Tür zu den Gesellschaftszimmern einen Spalt breit und starrte in einen dunklen Gang, von dem aus die vornehmen Salons sowie das Eß- und Kaminzimmer des Hauses abzweigten. Er hörte eine gedämpfte Stimme, die Anweisungen erteilte, anschließend das leise Hämmern von Metall auf Stein.
Also hatte er es mit mehreren Eindringlingen zu tun. Tobias verfluchte, dass Caroline ihn nicht herumgeführt hatte. Hier irgendwo musste doch der Treppenaufgang zu den Schlafkammern der Lewalds liegen. Aber wo? Hatte man vielleicht auch die Hauseigentümer narkotisiert? Die Sorge um Caroline trieb Tobias vorwärts.
Entschlossen schlüpfte er durch den Türspalt und näherte sich der Quelle des Geräuschs. Soweit er es erkennen konnte, handelte es sich um
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