Der Funke des Chronos
bekannt. Ohne ihn gäbe es auch die Patriotische Gesellschaft nicht. Er hat sie gleichsam gegründet. Nach seinem Tod wurde er in dem von ihm geschaffenen Gruftgewölbe der St.-Michaelis-Kirche beigesetzt. Ich verehre diesen Mann sehr und versuche, mich seines Andenkens würdig zu erweisen.«
Eine Weile blieben die beiden vor dem großen Porträt stehen, und Tobias bedauerte, dass er sich bislang so wenig mit Hamburgs Geschichte beschäftigt hatte.
»Und jetzt zeige ich Ihnen etwas Besonderes.« Lewald führte ihn an einer dampfkraftgetriebenen Bandsäge vorbei in den hinteren Teil der Scheune. Er deutete auf eine Gondel von der Größe eines kleinen Schiffs, die eingeklemmt zwischen aufgetürmten Holzkisten und Kohlesäcken stand. Über ihr hing ein großes, rot-weiß gestreiftes und mit Gummi imprägniertes Gebilde aus Seide von der Decke.
»Eine neuartiger Flugballon! Selbstgebaut. Ich habe diesen Gasballon auf den Namen Caroline getauft, sehen Sie.« Lewald deutete stolz auf eine beschriftete Messingplakette am Bug des Luftschiffs. »Mit diesem Luftfahrzeug werde ich während der Einweihung unserer neuen Eisenbahnverbindung nach Bergedorf aufsteigen und mir das Spektakel von oben anschauen.«
»Das ist nicht Ihr Ernst!« Tobias starrte Carolines Vater mit offenem Mund an. Unwillkürlich musste er daran denken, dass Caroline über die Pläne ihres Vaters sicher nicht begeistert wäre. »Meinen Sie nicht, dass Sie damit vielleicht ein bisschen viel Aufsehen erregen?«
»Unsinn, sicher nicht mehr als damals Jean-Pierre Blanchard. Das ist zwar schon fast siebzig Jahre her, aber dafür verzichte ich auch darauf, über der Sternschanze einen Hammel am Fallschirm abzuwerfen.«
Der Alte lachte herzhaft. »Außerdem will ich eine neue Erfindung ausprobieren. Sehen Sie.« Er wies Tobias auf eine kesselartige Konstruktion in der Mitte der Gondel hin. »Dies ist eine neue Dampfmaschine, die ich selbst konstruiert habe. Mit ihr werde ich eine Luftschraube antreiben.«
Lewald wandte sich zu einem zahnradbewehrten Gestänge an der Wand um, das an seinem Ende in einer schwenkbaren Luftschraube mit vier großen Paddeln auslief. Ungläubig starrte Tobias die Erfindung an.
»Es hat bereits viele Versuche gegeben, Luftschiffe zu steuern«, erklärte der Alte. »Man hat es mit Segeln versucht und sogar mit angeschirrten Vögeln. Alles Unsinn. Ich werde es mit modernster Technik probieren.«
»Formidabel«, murmelte Tobias in Ermangelung eines anderen zeitgemäßen Ausdrucks.
»Das Prinzip habe ich mir von den Wasserschrauben der Dampfschiffe abgeschaut«, erklärte Lewald bestimmt. »Meine Luftschraube lässt sich durch Drähte in jede beliebige Richtung schwenken. Damit wird es mir möglich sein, Caroline durch die Luft zu steuern. Wer weiß, vielleicht wird mir damit sogar ein Flug gegen den Wind gelingen? Das Problem ist die Ballongröße. Dieser hier hat ein Fassungsvermögen von über eintausendachthundert Kubikmetern und fliegt mit Wasserstoff, den ich durch ein neues Verfahren gewinne.«
Unfassbar. Lewald war seiner Zeit um einiges voraus. Tobias spürte, wie die technischen Spielereien ringsum eine eigentümliche Aufregung in ihm weckten. Ob das wohl der Spieltrieb war, der angeblich in jedem Mann schlummerte? Eigentlich sollte er besser wissen, wohin so etwas führen konnte. Dennoch, ihn interessierte brennend, ob Carolines Vater mit der Luftschraube Erfolg haben würde.
»Übermorgen werde ich die Caroline zum Heiligengeistfeld vor den Stadtwällen verschiffen lassen«, erklärte der Hausherr zufrieden. »In drei Tagen will ich einen Testflug durchführen, damit ich mich bei der Jungfernfahrt unserer Eisenbahn nicht blamiere. Sie haben sicher das Schiff unten an meinem Privatkai bemerkt. Die Mannschaft wird zunächst noch eine besondere Fracht im Hafen abholen und den Ballon dann zum Hamburger Berg bringen. Von dort aus geht die ganze Fracht auf Pferdekarren nach Norden. Mein Gehilfe wird alles vorbereiten, damit ich noch am Nachmittag probehalber aufsteigen kann.«
»Ihr Gehilfe?«
»Michael Groth, unser Hausverwalter. Ein fähiger Mechaniker mit regem Verstand. Sie haben ihn bei Ihrer Ankunft doch gewiss kennen gelernt.«
»Ja, sicher …«, antwortete Tobias erstaunt. Es fiel ihm schwer, sich den blasierten Hausverwalter ölverschmiert zwischen Werkbänken und Dampfmaschinen vorzustellen.
Lewald zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Caroline einstweilen nichts
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