Der Funke des Chronos
die Lokomotive. »Das ist der Nachbau der ›Rocket‹. Das Original hat 1830 in Liverpool ein Lokomotiven-Wettrennen gewonnen. Ich habe die Maschine etwas modifiziert, aber leider ist sie noch nicht ganz fertig. Sonst hätten wir sie vielleicht bei der Eröffnung unserer neuen Bahnstrecke eingesetzt. Und das da hinten« – er zeigte auf ein weiteres großes Gefährt, das von der Lokomotive halb verdeckt wurde – »ist ein Automobil mit Explosionsmotor. Der Antrieb wurde von Konstrukteur Brackenburg erfunden und fährt mit einem Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch. Wenn Sie mich fragen, viel zu gefährlich. Von mir abgesehen haben sich dafür noch nicht viele Interessenten gefunden. Allemal aber eine reizvolle Erfindung.«
»Und was ist dies dort?« wollte Tobias beim Anblick einer hüfthohen Holzkonstruktion wissen, die über eine drehbare Achse und einen Holzaufbau mit zahlreichen Magneten verfügte. Das Ding erinnerte ihn irgendwie an einen Versuchsaufbau aus dem Physikunterricht.
»Das«, erklärte Lewald geheimnisvoll, »ist ein Elektromotor. Voltaisch, verstehen Sie? Ich habe Hermann Jacobi in Petersburg dazu bringen können, mir einen Nachbau seines Prototyps anzufertigen. Vor vier Jahren hat er mit einem solchen Motor sogar ein Boot angetrieben. Leider ist er ein arroganter Stutzer, man muss ihm jedes seiner Geheimnisse einzeln aus der Nase ziehen. Außerdem tut er so, als sei er der erste gewesen, der einen solchen Elektromotor konstruiert hat. Dabei gebührt dieses Verdienst Ingenieur Jedlicka. Der war bereits 1829 soweit. Hatte nur nicht so viel Glück.«
»Zu schade«, meinte Tobias lakonisch und betrachtete eine Reihe von Porträts, die eingerahmt an den Wänden über einer der Werkbänke hingen. Insbesondere eines der Gemälde stach wegen seiner Größe stark hervor. »Ihre Vorfahren?«
»Nein«, erwiderte Lewald feierlich, »nur einige der bedeutendsten Erfinder und Konstrukteure, deren Namen unauslöschlich mit Hamburg verbunden sind. Das da ist Arp Schnitger.« Er deutete auf eines der kleineren Bilder, das einen Mann mit weichen Gesichtszügen zeigte. »Er war der führende Orgelbaumeister Norddeutschlands. Sein Meisterwerk können Sie noch heute in der St. Jacobi-Kirche bewundern. Und das hier« – er deutete auf das Bild daneben – »ist Johann Georg Repsold! Er war nicht nur Hamburgs Oberspritzenmeister, so wie sein Sohn Adolph Repsold heute, sondern auch Feinmechaniker. Ihm hat Hamburg die Sternwarte und die Navigationsschule zu verdanken. Die Meßinstrumente hat Repsold allesamt in seiner familieneigenen Glocken- und Geschützgießerei angefertigt.«
Andachtsvoll blieb Lewald vor dem größten der Gemälde stehen. Es zeigte einen schelmisch dreinblickenden Mann mit blauem Dreispitz, weißer Perücke und Knollennase. »Doch der größte Baumeister und Konstrukteur, den Hamburg je hervorgebracht hat, ist ohne Zweifel Ernst Georg Sonnin. Er hat Theologie, Philosophie und Mathematik studiert und dann in Hamburg als Privatlehrer für Latein und Mathematik angefangen. Später richtete er eine feinmechanische Werkstatt ein, in der er Wasser- und Pendeluhren sowie Erd- und Himmelskugeln anfertigte. Berühmt wurde er durch den Wiederaufbau der Michaeliskirche.«
»Was meinen Sie mit Wiederaufbau?«
»Im März 1750 ist der Michel nach einem Blitzschlag abgebrannt«, erklärte ihm Carolines Vater. »Sonnin wurde damals zusammen mit Baumeister Prey mit den Instandsetzungsarbeiten beauftragt. Prey starb allerdings schon 1757, und so ist das heutige Kirchendach allein das Verdienst Sonnins. Ein großartiger Mann. Er hat den Turmbau gänzlich ohne Gerüst zustande gebracht und während der gesamten Bauphase eine Menge Erfindungsreichtum bewiesen. Ganz zu schweigen von dem Schelmenstück, das er 1759 abgeliefert hat. Damals hatte sich die Turmspitze der Nikolaikirche um fast zwei Meter geneigt. Jeder hielt eine künstliche Bewegung des gewaltigen Bauteils für unmöglich. Nicht aber Sonnin. Er brachte es fertig und geriet dann wegen einiger Mitglieder des Kirchenkollegiums in Schwierigkeiten. Die warfen ihm vor, die Geraderichtung wegen der großen Gefahren heimlich ausgeführt zu haben. Er hat sie daraufhin alle eingeladen, die Turmspitze erneut in Schieflage gebracht und die Geraderichtung abermals vorgeführt.«
»Erstaunlich.«
»In der Tat«, begeisterte sich Lewald. »Außerdem wurde Sonnin als Stadt- und Salinenbaumeister sowie durch zahlreiche Gutachten und Projekte im Wasser- und Mühlenbau
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