Der Funke des Chronos
damit, Sie mit einem Stein an den Füßen in der Elbe zu versenken. Haben wir uns verstanden?«
Tobias nickte beklommen. Insgeheim hatte er das unbestimmte Gefühl, dass Caroline gerade bei ihm alles andere als sicher war.
Als hätte sie seinen Gedanken gelauscht, kehrte die junge Frau in diesem Augenblick ins Zimmer zurück. Die eigentümliche Vogelmaske brachte sie mit.
Lewald verbarg die Fotografie hastig vor seiner Tochter und nahm ihr das Fundstück schweigend aus der Hand. Eingehend studierte er es. Auf seinen Wink hin zauberte Kristian ein scharfes Messer hervor und reichte es dem Alten. Der schlitzte den gebogenen Schnabel damit auf. Heraus rieselte eine kohleartige Substanz.
»Interessant«, murmelte Lewald. »Sehr interessant. Leider hilft uns das nicht weiter.«
Unwirsch reichte er Caroline die Maske zurück. »Gut, dann schlage ich vor, dass die Herren das Kaminzimmer aufräumen und sich anschließend wieder in die Betten begeben. Und wir beide« – er wandte sich an seine betreten dreinschauende Tochter –, »wir werden jetzt ein ernstes Gespräch miteinander führen.«
Mitleidig sah Tobias Caroline hinterher. Er wollte Groth und Kristian schon seine Hilfe anbieten, als sich Justus Lewald noch einmal zu ihm umwandte. »Nosce teipsum. Sagt Ihnen das etwas?«
Tobias hielt verwirrt inne. Lewald sprach von dem Gekritzel auf der Rückseite des Fotos.
»Soweit ich weiß, lautet es übersetzt ›Erkenne dich selbst!‹«
»Richtig« erwiderte Lewald gedankenvoll. »Womöglich weist uns dieser Sinnspruch auch auf eine Spur. Es handelt sich hier um eine Losung der Freimaurer.«
Des Faustens Teufelszwang
Hamburg 1842, 3. Mai,
16 Minuten nach 4 Uhr am Nachmittag
I ch habe kein gutes Gefühl dabei, Caroline. Dein Vater wies uns an, zurück zu eurer Stadtwohnung zu fahren. Dem Spielbudenplatz kann ich doch auch allein einen Besuch abstatten.«
»Ohne mich wirst du aber keinen Erfolg haben«, erwiderte Caroline patzig. »Es ist doch bloß ein kurzer Abstecher. Wenn wir mehr über diese Maske erfahren wollen, dann brauchst du mich.«
Tobias seufzte und lenkte die Pferde des offenen, achtsitzigen Stühlwagens, den Lewald und Kristian ihnen überlassen hatten, schnalzend an einem großen Holzpavillon nicht weit vom Millerntor vorbei. Lewalds Standpauke letzte Nacht hatte wohl eher den Trotz seiner Tochter herausgefordert. Andererseits war er froh über Carolines Begleitung.
Das Lokal vor dem Stadtwall, das sie soeben passierten, markierte quasi den Beginn des Amüsierviertels auf dem Hamburger Berg. Es warb mit nächtlichen Illuminationen aus selbst hergestelltem Leuchtgas. Umgeben war die Gaststätte von einem hübschen Garten, in dem sich angesichts des warmen Frühlingstags Kontoristen, Geschäftsleute und auffallend viele Männer in Kapitänsuniformen Erfrischungen reichen ließen, die ihnen von drallen Dienstmädchen angeboten wurden.
Einen bangen Augenblick lang glaubte Tobias, Kristian zwischen den Gästen des Lokals zu entdecken. Doch als er erneut hinüberschaute, war die Gestalt verschwunden. Sicher hatte er sich geirrt. Der Rothaarige war schon am frühen Vormittag zusammen mit Carolines Vater zur Stadt hin aufgebrochen. Tobias war sehr gespannt darauf, ob Kristian eine Spur des Kahlköpfigen finden würde. Allerdings bezweifelte er, dass ihn der Kutscher unterrichtete, falls er Erfolg gehabt hatte. Lewald selbst musste trotz der Vorkommnisse in der letzten Nacht geschäftlich hinaus nach Bergedorf im Osten von Hamburg. In drei Tagen stand die Einweihungsfeier der Eisenbahnlinie zwischen den beiden Städten bevor, und es gab nach Lewalds Aussage bis dahin noch viel zu tun. Tobias und Caroline waren also wieder auf sich allein gestellt. Da sie beide Groth bei den Aufräumarbeiten hatten helfen müssen, hatten sie die Villa erst spät verlassen können.
»Und starr nicht so zum Trichter hinüber«, schreckte ihn seine Begleiterin aus den Gedanken. »Nach Torschluss geht es da alles andere als gesittet zu. Man sagt, Peter Gas gewährt dann gewissen Frauen Eintritt in sein Tanzlokal.«
»Peter Gas? Was ist denn das für ein Name?« Tobias warf Caroline einen amüsierten Seitenblick zu, doch seine Begleiterin gab sich schnippisch. »Auswärtige nennen ihn angeblich auch ›Hein Gas‹. Für die heißt offenbar jeder Hein, der aus Hamburg stammt. Aber das stimmt nicht. In Wahrheit heißt der Besitzer des Trichters Peter Ahrens. Doch man weiß ja, was man von Seeleuten wie ihm zu
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