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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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einmal brach überall im Theater begeisterter Gesang aus, und Jung und Alt klatschten im Rhythmus von ›O Hannes, wat’n Hoot‹ mit.
    Ein Lächeln kräuselte Tobias’ Lippen. Wie würde dann erst die Aufführung werden? Kaum war der Gesang im Raum verhallt, da trat eine magere junge Frau mit jammernder Violine auf die Bühne und spielte eine dramatische Melodie. Ohne Umschweife disponierte der Kapellmeister um und stimmte darin ein. Als die beiden endlich verstummten und Ruhe eingetreten war, erklang von hinter der Bühne Dannenbergs Stimme.
    »Erster Akt. Faust in der Hexenküche!«
    »Ah, es geht los!« erklärte Caroline aufgeregt. Tobias starrte wegen des brüsken Übergangs verwirrt nach vorn.
    Ruckelnd hob sich der Aufzug und enthüllte eine Bühne, deren Hintergrund einen ausgemalten Wald zierte, während die Kulissen im Vordergrund ein Zimmer darstellten. Dazwischen stand Dannenberg als Faust. Noch immer trug er sein lächerliches Ritterkostüm, nur dass er jetzt – wie Hamlet – einen Totenschädel in Händen hielt.
    »Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühen. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!«
    Über ihnen in der Galerie brach Gelächter aus, und das Spinett wurde im Dunkeln von einem Gegenstand getroffen. Mit einem schiefen Ton unterbrach es Fausts Monolog.
    »Wenn ji nich ruhig sein wüllt«, brach Dannenberg wütend sein Spiel ab und deutete mit dem Schädel in Richtung der Galerie über ihnen, »dann holl ik eenfach op to speeln!«
    »Nee, speel man to«, ertönte über ihnen eine helle Jungenstimme, »wir sünd ja al ganz still.«
    Überrascht drehte sich Tobias zu der Galerie um. Die Stimme erkannte er wieder. Im Zwielicht über ihnen entdeckte er Friedrich, den frechen Gassenjungen, dem sie gestern Mittag die Maske abgeluchst hatten. Der Blondschopf lehnte feixend über dem Geländer und kaute an irgend etwas. Dannenberg fuhr fort, und so kam Tobias in den Genuss einer Variante des Faust, bei der der Gelehrte zunächst einen Reimwettbewerb mit zwei drallen Hexen austragen musste, bevor ihm in rotem Kostüm Mephistopheles erschien, der Teufel. Dieser trat mit einem lauten Knall und viel Rauch auf und wurde sogleich mit Pfiffen und Buhrufen aus dem Zuschauerraum begrüßt. Es folgte ein langweiliger Dialog zwischen den beiden, der erst zu einem Ende kam, als das Publikum lautstark nach Gretchen verlangte. Endlich betrat ein hübsches blondes Mädchen die Bühne, das einem der Matrosen im Publikum aufgeregt zuwinkte – ihrem Verlobten, wie einer der Zuschauer links von Tobias wusste. Allen, die es hören wollten oder nicht, versicherte er, dass Gretchen in Wahrheit Martha hieß und abends in einer Kneipe am Hafen ausschenkte. Mattler und Dannenberg hätten sie erst vor einer Woche eingestellt. Dementsprechend stand es leider auch um Marthas schauspielerisches Talent. Zu allem Unglück vergaß sie plötzlich ihren Text und brach in Tränen aus. Besorgt sprach ihr das Publikum so lange zu, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Dann ging es weiter.
    Wacker überstand Tobias auch den zweiten Akt, ›Faust im Himmel‹, der vornehmlich aus einigen derben Spaßen bestand, die Dannenberg mit Jupiter trieb. Endlich kam es mit dem dritten Akt zum Finale: Faust in der Hölle! Die Bühne erstrahlte rot in bengalischer Beleuchtung, und drei schwarz angemalte Kinder mit Dreizack in den Händen sprangen darauf herum. Faust befreite das inzwischen von ihm geschwängerte Gretchen aus dem Kochtopf des Mephistopheles und versprach ihr unter lautstarker Begeisterung des Publikums die Ehe.
    »Na endlich, dieser lose Schuft!« keifte eine ältere Frau in der ersten Reihe. Tobias musste an sich halten, um nicht loszuprusten. Dannenberg schien seine Stücke so lange zu verbiegen, bis sie auch dem letzten im Publikum gefielen. In diesem Augenblick trat Mephistopheles ein weiteres Mal mit Rauch und Schwefel auf. Er und Faust lieferten sich auf der Bühne einen wilden Zweikampf, bei dem dieser den Teufel wütend mit seinem Schwert traktierte. Plötzlich riss sich der Teufel die gehörnte Maske vom Kopf und schrie Dannenberg an: »Du verdreihte Schinner! Meenst du, dat ik mi for veer Schilling den ganzen Dag up’n Kopp haun lass?«
    Der Kerl stolzierte beleidigt und unter lautem Gelächter des Publikums von der Bühne. Dannenberg überwand seine Verblüffung und verneigte sich kurzerhand. Dann küsste er ›Gretchen‹

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