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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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und musterte die gepflasterte Straße vor dem Zuchthaus bis hinunter zum Stallhaus der Dreckfeger.
    Zu dieser Tageszeit war hier nicht mehr viel los. Knapp grüßte er einen vorbeieilenden Leinwandhändler und starrte anschließend einem rumpelnden Karren nach, der Brennholz geladen hatte. Wofür brauchte man bei den derzeitigen Temperaturen Brennholz? Kettenburg schüttelte den Kopf. Er würde Borchert eine Standpauke halten. Soviel war sicher. Natürlich, er konnte dieser keuschen Susanne auch allein einen Besuch abstatten. Aber es schien ihm passender, dies in Gegenwart des Wachers zu tun.
    Just in diesem Augenblick bog der dicke Uhle um eine Hausecke und näherte sich schnaufend.
    »Tut mi leid, Herr Polizeiaktuar.« Er rang nach Atem. »Heff mi ’n büschen verspätet, wat? Ik hatt mi noch mit Jan troffen, Sie weeten schon, mien Kamerod, der …«
    »… Kristian Sillem erkannt hat. Ja ja, ich weiß«, unterbrach ihn Kettenburg. »Wir waren hier um kurz nach sieben Uhr verabredet.«
    »Jo. Heff mi ook beeilt. Mi is dor bloß noch wat einfallen. Der Tote, der lag doch auf’n Karren, oder?«
    »Ja, lag er.«
    »Seihn Sie, mien Bruder, der is Wagner. Ik dücht mi, ik schick ihn und Jan mal zum Dragonerstall, damit er sich dat goode Stück näher ankiekt. Vielleicht finnet er ja wat.«
    »Borchert, das ist längst geschehen. Denkst du, ich habe meine Arbeit nicht gemacht? Da war nichts Besonderes.«
    »Oh. Jo, äh, dat wüßt ik natürlich nich.«
    Der Polizeiaktuar seufzte innerlich. Einen Bruder hatte der Mann also auch. Immerhin, der Einsatz des Uhlen imponierte ihm. Kameradschaftlich klopfte er ihm auf die Schulter. »War aber eine gute Idee, Borchert. Also, dann wollen wir mal.«
    »Bitte, een Moment noch.« Der Uhle blickte unglücklich zu dem finsteren Bau auf und atmete mehrmals tief ein. »So, nu geiht dat.«
    Kettenburg musterte den Dicken verdutzt, während er gegen die Pforte des Zuchthauses klopfte. »Alles in Ordnung?«
    »Jo. Ik genieße nur noch mol de Freiheit, bevor wi dor ringehen. Mook ik immer so. Musst da drinnen schon tweemal een poor schwere Jungs idem … ident … äh …«
    »Identifizieren?«
    »Jo, genau dat meent ik. Für Sie is es dat erste Mol?«
    »Ja. Warum?«
    »Ach, nur so.«
    Quietschend öffnete sich die Tür des Zuchthauses, und ein Amtspförtner mit wulstigen Augenbrauen und nachlässig zugeknöpfter Uniform begrüßte sie. Kettenburg zückte ein Schreiben, das er sich von Polizeisenator Binder hatte ausstellen lassen.
    »Wir sind angemeldet und wollen mit einer der Gefangenen sprechen. Man nennt sie die ›keusche Susanne‹. Sie wurde wegen Hurerei aufgegriffen.«
    »Alle Weiber hier sind Huren«, grinste der Aufseher anzüglich. »Jenfalls früher oda später …«
    Kettenburg hob pikiert eine Augenbraue, dann folgten er und Borchert dem Mann an einer Wachstube vorbei durch einen beklemmend niedrigen Gang. Von irgendwoher waren gedämpfte Schreie zu hören, die vom rhythmischen Klatschen einer Peitsche begleitet wurden. Nachdem sie einen langen Gang mit schmalen, vergitterten Türen durchmessen hatten, erreichten sie einen großen Ess-Saal, dessen hoch liegende Decke durch eingezogene Pfeiler gestützt wurde. Der trostlose Raum war vom einen Ende bis zum anderen mit langen Tischreihen ausgestattet, auf denen hölzerne Schüsseln, Teller und Krüge standen. Allesamt waren sie erst vor kurzer Zeit benutzt worden. Nur auf einem der langen Tische, ganz in der Mitte des Saals, stand Zinngeschirr. Kettenburg war sich sicher, dass dieser Tisch für Insassen ›mit Distinction‹ bestimmt war: Ganoven aus den feineren Gesellschaftsschichten. Unter die Essensdünste, die den Saal schwängerten, mischte sich ein unangenehmer Geruch, den der Polizeiaktuar nicht so recht zuzuordnen wusste.
    »Was ist das für ein Gestank?« wandte sich Kettenburg ratsuchend an den Aufseher. »Nach Essen riecht das nicht.«
    »Dat is ’ne Mischung ut Essig un Wacholderbeerqualm«, beantwortete Borchert die Frage. »Dormit räuchern se de Räume aus, um üble Gerüche to överdecken.«
    »Ganz richtig«, erklärte der Aufseher. »Warten Sie hier. Ik mutt dem Schlüsselmeister Bescheid geben. Un nehm Sie keene Notiz von dem dor oben. Der Bengel ist vor dree Johr op dem Gänsemarkt aufgriffen worden. Hat mit Steinen un Unrat nach Hauptpaster Alt von der St.-Michaelis-Kirche würfen.«
    Erst jetzt erblickten Kettenburg und Borchert den wagenradgroßen Hungerkorb, der einige Meter über ihnen von der

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