Der futurologische Kongreß
vernahm ich. »Hierher, in den Glaskolben. Nein, nur das Gehirn! Das übrige taugt nichts mehr. Gebt einstweilen die Narkose!« Der watteverbrämte Nickelkreis schob sich vors Blickfeld. Ich wollte um Hilfe rufen, schreien, aber ich sog das stechende Gas ein und verströmte im Nichts. Als ein neues Erwachen kam, konnte ich kein Auge auftun und weder Hand noch Fuß regen; ich war wie gelähmt. Ich erneuerte meine Anstrengungen ohne Rücksicht auf die Schmerzen im ganzen Körper. »Nur ruhig!« Eine liebe melodische Stimme sprach zu mir. »Nicht strampeln, bitte.«
»Wie? Wo bin ich? Was ist mit mir los?« – lallte ich. Mein Mund, mein ganzes Gesicht war etwas völlig Fremdes. »Sie sind im Sanatorium, mein Herr. Es wird alles gut. Seien Sie zuversichtlich. Gleich geben wir Ihnen zu essen.«
»Kann ich ja nicht! Womit sollte ich?« – wollte ich antworten. Eine Schere schnippte; ganze Lagen Mull fielen mir vom Gesicht. Um mich tagte es. Zwei stattliche Wärter faßten mich unter, sacht, aber fest. Sie brachten mich zum Aufstehen; ich staunte, wie riesig sie waren. Dann setzten sie mich in einen Rollstuhl. Vor mir dampfte eine appetitlich aussehende Fleischbrühe. Unwillkürlich langte ich nach dem Löffel, doch da fiel mir etwas auf: die zugreifende Hand war ganz klein – und so schwarz wie Ebenholz. Ich hob sie hoch und besah sie. Ich konnte sie nach Wunsch bewegen, demnach war es wohl die meinige. Die hatte sich aber sehr verändert. Ich wollte mich nach der Ursache des Phänomens erkundigen; ich streckte mich; mein Blick fiel auf den Spiegel an der Gegenwand. Bandagiert und im Pyjama saß dort im Rollstuhl eine junge hübsche Negerin mit verdutztem Gesichtsausdruck. Ich berührte die eigene Nase. Das Spiegelbild tat desgleichen. Ich begann mich abzutasten, das Gesicht, den Hals … Als mir Brüste unterkamen, stieß ich einen bangen Schrei aus. Meine Stimme war ganz zart. »Großer Gott!« Die Krankenschwester zankte irgendwen aus, weil der den Spiegel nicht verhängt hatte. Dann wandte sie sich an mich: »Ijon Tichy, nicht wahr?«
»Ja. Das heißt … ja! Ja!! Aber was soll das heißen? Das Mädchen da? Das schwarze Fräulein?«
»Organverpflanzung, Herr Tichy. Anders ging es nicht. Es galt Ihr Leben zu retten. Sie selbst galt es zu retten, daß heißt – Ihr Gehirn!« – sagte die Schwester hastig, aber deutlich. Sie hielt mir beide Hände. Ich schloß die Augen. Ich öffnete sie wieder. Mir schwindelte. Der Chirurg trat ein; aus seinem Gesicht sprach äußerste Entrüstung. »Feine Zustände!« – donnerte er. »Der Patient kann einen Schock erleiden!«
»Hat er schon!« – versetzte die Schwester. »Simmons ist schuld, Herr Professor. Ich hab ihm doch gesagt, er soll den Spiegel verhängen!«
»Schock? Also los, worauf wartet ihr? In den OP!« – kommandierte der Professor. »Nein! Mir reicht’s!« – rief ich. Niemand beachtete mein jüngferliches Gepiepse. Eine weiße Plane fiel mir über Augen und Gesicht. Vergeblich suchte ich mich loszureißen. Ich hörte und spürte, daß die Gummiräder meines Wägelchens über die Bodenfliesen holperten. Da ertönte ein markerschütternder Krach; Fensterglas zersprang mit spitzem Geklirr; Donner und Feuer durchtosten den Spitalkorridor.
»Gegenbewegung! Gegenbewegung!« – röhrte jemand. Glas knirschte unter den Schuhen der Flüchtenden. Ich wollte die hemmende Leinwand abwerfen; es gelang nicht. Ich spürte bohrenden Schmerz in der Seite und verlor das Bewußtsein.
Ich erwachte im Stärkeschleim. Er war mit Preiselbeeren versetzt und spürbar zuwenig gesüßt. Ich lag auf dem Bauch; etwas Großes, ziemlich Weiches lastete auf mir. Ich schüttelte das ab. Es war eine Matratze. Ziegelschutt spickte mir schmerzhaft die Knie und die Handflächen. Ich stützte beide Arme auf und spuckte Preiselbeerkerne und Sandkörner aus. Das Einzelzimmer sah aus wie nach einer Bombenexplosion. Die Fensterstöcke hingen lose und neigten sich mit letzten unzermalmten Glaszacken dem Fußboden zu. Der Drahteinsatz des umgestülpten Bettes war verrußt. Mit Preiselbeerschleim bekleckert, lag neben mir ein großer Bogen bedrucktes Papier. Ich hob es auf und begann zu lesen: »Werter Patient (Vor- und Zuname)! Du weilst derzeit bei uns im Versuchsspital dieses Staates. Der Eingriff, der Dir das Leben gerettet hat, war schwer – sehr schwer (Nichtbenötigtes streichen!). Gestützt auf neueste medizinische Erkenntnisse, haben Dich unsere besten Chirurgen vorerst einmal –
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