Der Gärtner von Otschakow
hin.
»Mitgeben willst du sie mir nicht?«
[319] Igor überlegte. »Ein paar gebe ich dir«, antwortete er. »Wozu brauchst du alle?«
Koljan machte sich wieder ans Studieren der Fotos und kniff die Augen zusammen, als hätte er nicht genügend Licht. Igor zog den Nachttisch mit dem Lämpchen näher zu ihm, richtete die Lampe direkt auf Koljans Hände und knipste sie an.
»Das Frühstück ist fertig.« Elena Andrejewna sah ins Zimmer herein. »Kommt essen!«
»Gehen wir«, sagte auch Igor.
Koljan verzog den Mund. »Ich setz mich nicht ans Fenster«, sagte er störrisch.
»Na gut, ich bring’s dir her.«
Gierig verschlang Koljan, fast in der Lotos-Position sitzend, ein Würstchen mit Rührei. So trank er auch seinen Tee.
»Also, wann schickst du mich auf die Reise dorthin?« Koljan wies mit dem Kinn auf die neben ihm auf dem Boden liegenden Fotos.
»Warte.« Igor überlegte. »Es muss alles genau geplant werden. Das ist doch wie Ausland. Auch Dokumente würden da nicht schaden. Wenn man irgendeinen alten Vordruck beschaffen und dir Papiere im alten Stil machen könnte, damit niemand einen Verdacht schöpft…«
»Dokumente?«, wiederholte Koljan. »Was kann es mit Dokumenten heute für Probleme geben? Wir leben im Zeitalter der digitalen Vervielfältigung. Heute bestellt, morgen gebracht. Ob einen Diplomatenpass oder eine Bescheinigung, dass du ein Nachfahre des Hauses Romanow bist…«
»Ja, aber hier geht es doch um alte Dokumente. Ich habe [320] den alten Ausweis eines Leutnants der Miliz, wir können ihn uns ansehen…«
»Wozu denn ansehen?!« Koljan zuckte die Achseln. Er zog seine auf dem Boden liegende Tasche zu sich her, holte das Notebook heraus, schloss das Kabel an die Steckdose an und steckte das Modem ein, das wie ein USB -Stick aussah. »Jetzt gucken wir uns an, was alles geboten wird!«
»Guck du es dir an, und ich gehe mal weg, ich habe etwas zu tun«, sagte Igor. »Habe einem Bekannten versprochen, ihm zu helfen…«
»Und wann kommst du wieder?«
»Zum Abendessen!«
Igor ließ Koljan im Zimmer zurück und bat seine Mutter, den Freund nicht zu stören, erklärte ihr, der habe eine Depression. Er selbst machte sich auf zu Stepan.
Igor erhielt eine Staubmaske und Arbeitshandschuhe. Sogar ein Overall für ihn fand sich im Haus. Im ersten Stock des Neubaus lagen Bretter und Armaturen, die die Bauleute zurückgelassen hatten, und überzählige, nicht verwendete Heizkörper. Gemeinsam trugen Igor und Stepan alles hinunter. So lange, bis Aljona sie zum Mittagessen rief. Sie hatte den Tisch in dem alten Holzhaus gedeckt, in dem Zimmer, in dem sie bescheiden ihren Kauf gefeiert hatten. Als sie schon beim Tee saßen, machte Igor sich auf einmal Sorgen um Koljan. Er entschuldigte sich, sagte, dass er an diesem Tag nicht mehr mithelfen konnte, und eilte nach Hause.
Er fand seinen Freund noch immer auf der Matratze in der Ecke vor. Nur lag jetzt aus irgendeinem Grund Igors aufgeschlagener Pass vor ihm auf dem Boden.
[321] »Wozu brauchst du den?«, fragte Igor nervös.
»Alles in Ordnung.« Koljan hob beschwichtigend die Hand. »Ich konnte ja bei einer unbekannten Firma nicht Papiere auf meinen Namen bestellen. Also habe ich sie auf deinen bestellt. Und von mir ein Foto geschickt, ein digitales. Von dir hatte ich keines, und die Papiere sind ja auch für mich…«
»Was sind es für Papiere?«, erkundigte sich Igor.
»Ein Pass von 1957, der Dienstreiseausweis eines Leutnants der Miliz und noch irgendwelche Bescheinigungen. Die kennen sich da aus. Es ist eine kleine Firma beim Staatsarchiv, die haben nicht nur Beispiele von allem, sondern auch leere Vordrucke. Man braucht nur Geld.«
»Und wie viel kostet das?«
»Fünfhundert Grüne zum aktuellen Kurs. Ich habe schon bezahlt!« Koljan zeigte Igor eine Kreditkarte. »Ich lasse sie dir hier, heb sie gut auf. Vielleicht komme ich in einem Jahr wieder zurück?!« Auf Koljans Gesicht lag ein etwas irres Lächeln.
»Wann bekommst du alles?«
»Du wirst es nicht glauben! Heute abend, per Kurier.«
»Na, ich gratuliere.« Igor sah von dem aufgeklappten Notebook am Boden zu seinem Pass. »Du bist jetzt ich… Ich bin auch nicht ganz ich… Ich bin jetzt ich und gleichzeitig Wanja Samochin…«
»Wir leben interessant!« Koljan lächelte schief.
»Das Land ist interessant, die Zeit ist interessant, du und ich sind interessant.« Igor lächelte auch. »Nur musst du noch ein bisschen hier ausharren. Ein oder zwei Tage…«
»Wieso?« Das
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