Der Gärtner von Otschakow
als willigte er nur zögernd ein.
»Mascha, verkaufst du meine eine Weile?«, wandte sie sich an ihre Nachbarin auf dem kleinen Straßenmarkt. »Ich komm gleich wieder!«
Die andere nickte.
Sie ließen den Busbahnhof und die Wohnblocks hinter sich. Die Alte führte die Neuankömmlinge zwischen frei stehenden Häusern hindurch.
»Und Sie, woher kommen Sie?«, fragte sie unterwegs.
»Aus der Hauptstadt«, antwortete Stepan.
Bald betraten sie den Hof eines alten Backsteinhauses. Igor ging gleich auf die Haustür zu.
»He, Junge, nicht dorthin!«, rief die Hausherrin, die sich noch am Gartentörchen zu schaffen machte. Und sie führte die Gäste hinters Haus, wo sich zwei Backsteinanbauten befanden.
In einen davon ließ sie die Männer hinein, nachdem sie das Vorhängeschloss von der Tür genommen und es zusammen mit dem Schlüssel Stepan übergeben hatte. Drinnen [36] standen zwei Eisenbetten, sorgfältig bezogen. Am kleinen Fenster gab es einen Tisch und zwei Stühle, und an der Wand genauso ein altes Holzregal wie in Igors Schuppen.
»So, richtet euch ein«, sagte sie. »Und ich gehe weiter verkaufen.« Im Gehen drehte sie sich noch einmal um. »Vielleicht bezahlt ihr im Voraus?«
Igor reichte ihr zwanzig Griwni. »Wenn wir länger bleiben, zahlen wir nach!«
Nachdem Stepan eine Zigarette geraucht hatte, begaben er und Igor sich auf einen Spaziergang durch das Städtchen. Die Straße, die sie entlanggingen, erschien Igor endlos.
»Ich dachte, Otschakow wäre nicht größer als Irpen«, seufzte er.
»So oder so, in diesen Städtchen kennen sich alle, das ist das Wichtigste!«, sagte Stepan überzeugt. »Und nicht das Angenehmste. Sie sehen sofort, wer fremd ist!«
Die alte Frau, ihre Wirtin, hieß Anastassija Iwanowna. Am Abend klopfte sie an ihr Fenster und rief sie zu sich zum Essen.
In Anastassija Iwanownas Haus hing der Geruch alter Kleider. Igor war dieser Geruch aus der Kindheit vertraut, seine Großmutter auf dem Dorf hatte eine Kiste mit Kleidern, Mänteln und Kopftüchern gehabt. Manchmal hatte Igor hineingeschaut, und sofort war ihm dieser eigenartige, muffige Geruch in die Nase gestiegen, den man dennoch nicht unerträglich, nicht einmal unangenehm nennen konnte. Er hatte etwas Süßes und etwas von fauligem Herbstlaub.
Die Alte bewirtete sie mit gedünstetem Kohl und Pilzen. Alkoholisches stellte sie nicht auf den Tisch, dafür schenkte sie den Gästen sofort Tee aus einer großen Porzellankanne ein.
[37] »Leben Sie hier schon lange?«, fragte Stepan sie.
»Ja, ich bin Otschakowerin, hier geboren«, sagte ihre Gastgeberin.
Stepans Augen begannen zu glänzen. »Haben Sie vielleicht mal von Jefim Tschagin gehört?«, fragte er langsam und deutlich.
»Von Fima? Wie denn nicht! Jeder Zweite kannte hier früher Fima!«
Auf ihrem Gesicht erschien ein versonnenes Lächeln. »Fima war ein schöner Mann, und geschickt. Er hat dem Frauenvolk sehr gefallen. Schade, dass man ihn umgebracht hat…«
»Wie, umgebracht? Wann?«, entfuhr es Igor.
Die Wirtin dachte nach.
»Das muss noch zu Chruschtschows Zeiten gewesen sein… Genau! Gleich nachdem Chruschtschow Gagarin ins Weltall geschickt hatte. Oder früher? Nach dem Sputnik, den auch Chruschtschow ins Weltall…? Ich weiß noch, beim Begräbnis flüsterten alle bloß vom Weltall.«
»Und das Haus, in dem er gelebt hat?«, fragte Stepan vorsichtig. »Steht das Haus noch?«
»Ja, sicher«, bestätigte die Alte. »Wo soll es denn hin sein?«
Stepan betrachtete Igor vielsagend, und seine Lippen verzogen sich zu einem kaum merklichen Lächeln.
5
Igor schlief in dieser Nacht nicht besonders gut. Das Drahtgeflecht unter seiner Matratze knarzte, sooft er sich umdrehte, [38] und weckte ihn jedes Mal. Wenigstens weckte das Knarzen nicht Stepan, der auf dem Nachbarbett schnarchte.
Schließlich lag Igor auf dem Rücken, lag so mit offenen Augen und blickte zur niedrigen Decke, die in der Finsternis kaum zu sehen war. Er dachte an den vergangenen Abend und das Essen bei ihrer Wirtin. An ihr fast kindliches Lächeln, als sie an Fima Tschagin gedacht hatte, und dieses Lächeln nahm sich auf ihrem verwelkten Gesicht so merkwürdig aus! Gegen Ende des Gesprächs hatte sie sogar ausgeplaudert, dass auch sie selbst in diesen Fima verliebt gewesen war, genau wie noch viele andere Mädchen in Otschakow. Fima Tschagin war eine auffallende Erscheinung gewesen, dünn, lang und mit spitzem Adamsapfel. Und auch einer spitzen Nase. In Otschakow war er ganz
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