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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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plötzlich aufgetaucht, seine Großmutter, die in einem großen Haus lebte, war auf einmal krank geworden. Das war nach dem Krieg. Da schickten die Eltern ihn aus Kachowka zu ihr, damit das Haus nach ihrem Tod niemand anderem zufiel. Die Großmutter wurde gesund und lebte, in den Worten der Wirtin, noch an die zehn Jahre einträchtig und munter mit ihrem Enkel zusammen. Der hatte sich, kaum war er angekommen, gleich mit allen Otschakower Raufbolden geprügelt und seine Gewandtheit gezeigt. Danach achteten sie diesen Fima, und er galt als einer von ihnen, als Otschakower. Er ging fischen, schlich mit den anderen Jungs in den Hafen, um zu stehlen, nahm auswärtigen Fischerbooten die Anker ab und verkaufte sie auf dem Markt weiter. Manchmal wurde er geschnappt. Aber er entkam wieder und rannte davon. So rannte er durchs Leben, bis ihn für irgendeine Kleinigkeit der Bezirkspolizist zwei Jahre ins Gefängnis schickte. Und [39] als Fima herauskam, war er erwachsener und schweigsam geworden. Er hatte zu rennen aufgehört und schritt fortan langsam und bedeutungsvoll. Von überall reisten die verschiedensten Leute zu ihm an, aus Taganrog, Rostow, Odessa. Manchmal wohnten sie ein paar Wochen lang in seinem Haus und verschwanden dann, aber an ihrer Stelle kamen andere. Und alle waren sie ausnahmslos mager und sehnig. Auch Geld gab es bei Fima immer. Der Bezirkspolizist grüßte ihn auf der Straße und fragte ihn nie wieder etwas. So ging das fünf, sechs Jahre oder länger, bis man ihn erstochen in seinem eigenen Haus fand.
    Igor dachte daran, wie die Augen der Alten geleuchtet hatten, als sie von Fimas Ermordung erzählte. Fima lag da, sagte sie, mitten im Wohnzimmer auf dem Rücken. Aus seiner Brust ragte ein Messer, und neben ihm fand man, mit Bindfaden verschnürt, einen dicken Packen Rubel. Mit einem Zettel: »Für ein prächtiges Begräbnis«.
    Die Alte hatte versprochen, ihnen am nächsten Morgen das Haus zu zeigen.
    Als sie wieder in ihrem Zimmer waren, hatte Stepan sich, ohne ein Wort, ausgezogen, hingelegt und sofort losgeschnarcht. Für Igor jedoch wurde es in dieser Nacht nichts mit Schlafen.
    Gegen Morgen döste er ein. Nicht für lange, denn auf einmal sangen ihm Vögel direkt ins Ohr, und seine Augen öffneten sich vor Schreck von selbst. Stepan hatte das Fenster ihres Anbaus geöffnet, und draußen kam mit der aufgehenden Sonne ein tönender Herbstmorgen in Gang.
    Stepan nickte zur Begrüßung und lief, nur in seinen Boxershorts, hinaus in den Hof. Draußen quietschte ein Eimer, [40] Wasser ergoss sich aus dem Brunnen, dann prustete der Gärtner laut und kam gleich darauf zurück in ihren Anbau gelaufen, den Oberkörper klatschnass.
    Nachdem er sich rasiert hatte, lief Stepan ein weiteres Mal hinaus und kehrte mit zwei großen Äpfeln wieder. Einen warf er Igor zu.
    »Hier, Frühstück!«, sagte er und biss genüsslich und krachend in seinen Apfel.
    Nach einer Weile rief sie von draußen die vertraute Stimme der Alten. Weder für die Pässe noch für die Namen ihrer Gäste hatte sie sich am Vorabend interessiert. Deshalb sagte sie, als sie jetzt ans Fenster klopfte, einfach: »He, ihr Lieben!«
    Die ›Lieben‹ traten nach draußen. Stepan hängte das Vorhängeschloss an die Tür, schloss ab und prüfte noch zweimal, ob es hielt.
    »Fimas Haus ist in der Kosta-Chetagurow-Straße«, sagte Anastassija Iwanowna unterwegs. »Nicht weit von hier. Da gibt es jetzt irgendein Büro. So eine Pensionskasse oder noch was anderes.«
    Nach einem kleinen Laden bogen sie links ab. Sie kamen an zweistöckigen Backsteinhäusern vorbei, dann an einem Stück Brachland mit einem abgebrannten Holzhaus. Und jenseits davon, hinter einem niedrigen Eisenzaun, stand ein unansehnliches einstöckiges Haus auf einem hohen Sockel. Die hölzerne, braungestrichene Flügeltür unterstrich das abweisend Amtliche der Einrichtung. Zu beiden Seiten der Tür hingen Schilder: »Organisation der Veteranen der Arbeit in Otschakow« und »Öffentliche Sprechstunde des Abgeordneten des Nikolajewer Gebietssowjets, Wolotschkow A.G.«
    »Da ist es.« Die Alte blieb stehen. »Unverändert!«, sagte [41] sie versonnen. »Früher, zu Fimas Zeiten, gab es dort vier große Zimmer mit Öfen, aber jetzt haben sie an die zehn draus gemacht! Ich bin mal hingegangen, zu den Veteranen. Dachte, sie helfen mir, einen Zuschlag zur Rente zu bekommen.« Sie winkte betrübt ab. »Und vor vielleicht fünf Jahren hab ich hier auch Jegorow noch gesehen, den

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