Der Gärtner von Otschakow
Bezirkspolizisten, der Fima eingesperrt hat. Bestimmt ist er schon gestorben…«
Stepan wurde hellhörig, sah Anastassija Iwanowna aufmerksam an.
»Bezirkspolizisten leben gewöhnlich lange«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht sollte man das überprüfen… Kennen Sie seine Adresse?«
»Die genaue Adresse weiß ich nicht, aber sein Haus kenne ich noch. Es ist da unten.« Sie wies die Straße hinunter. »Zum Meer hin. Früher hatte es einen roten Zaun…«
»Wollen wir vielleicht bei ihm vorbeigehen?«, schlug Stepan vor. »Wir würden ja gern mit ihm reden, wenn er am Leben ist.«
Sie mussten Anastassija Iwanowna noch fünf Minuten lang überreden, bevor sie sich ergab und sie zu Jegorows Haus führte.
Die Tür in dem kleinen verputzten Haus hinter dem roten Zaun öffnete ein sommersprossiges, etwa sechsjähriges Mädchen.
»Ist der Opa zu Hause?«, fragte die Alte sie.
»Opa!«, schrie das Mädchen nach hinten. »Das ist für dich!«
Ein schmächtiger Alter im blauen Trainingsanzug mit ›Dynamo‹-Emblem sah in den Flur heraus. Zunächst starrte [42] er ein wenig erschrocken auf die beiden Männer in der Tür, erst dann bemerkte er neben ihnen die kleine, unter dem Gewicht des gelebten Lebens gebeugte Anastassija Iwanowna. Seine Miene wurde weicher.
»Nastja, bist du’s?«, fragte er, ohne den Blick von der Alten zu wenden.
»Ja, weißt du, sie haben mich sehr gebeten, dass ich sie zu dir bringe. Meine Sommergäste.« Sie deutete mit dem Kopf auf Stepan und Igor. »Können wir reinkommen?«
Der Alte nickte.
Er führte sie ins Zimmer und versuchte unterwegs, mit den Händen eine durch den Flur fliegende Motte zu erschlagen. Er wies seine Gäste an einen Tisch, der mit einem plüschigen Tuch bedeckt war.
»Womit kann ich dienen?«, fragte er, nachdem er sich ihnen gegenüber gesetzt hatte.
»Also, es geht um Folgendes«, begann Stepan zu erklären. »Fima Tschagin war entweder mein Verwandter, oder ein Freund meines Vaters… Und das wollte ich eben herausfinden… Deshalb bin ich nach Otschakow gekommen.«
»Und was habe ich damit zu tun?«, fragte der Alte verwundert.
»Na, Sie haben ihn doch ins Gefängnis gesteckt, das heißt, irgendetwas wussten Sie von ihm!«, sagte Stepan. »Zum Beispiel, mit wem er befreundet war? Denn er war hier doch mit irgendwem befreundet?«
»Befreundet?!«, fragte der Alte zurück. »Vielleicht, ja. Ich weiß nicht. Aber er befasste sich mit… wie soll man das erklären?! Mit allem befasste er sich! Verkaufte Gestohlenes, empfing verdächtige Gäste. Sein Haus war so eine Art [43] Postfach. Man gab ihm alles Mögliche zur Aufbewahrung, für ein Jahr, für zwei… Dafür hat man ihn natürlich bezahlt. Immer wieder wurde er der Miliz angezeigt, die kam mit Durchsuchungsbefehlen, hat aber nie etwas gefunden. So hat er hier gelebt, bis er umgebracht wurde. Möchten Sie vielleicht einen Tee?«
Anastassija Iwanowna wurde munter und nickte für alle.
Beim Tee versuchte Stepan noch Näheres zu erfahren, doch erzählte der Alte nichts Neues mehr.
»Offenbar war auch mein Vater bei ihm«, überlegte Stepan am Abend, als sie schon in ihrem Zimmerchen auf den Betten saßen. »Hat dort gewohnt und wahrscheinlich etwas zur Aufbewahrung hinterlassen… Das heißt, er war wohl doch ein Dieb…«
Am nächsten Tag gingen sie zu zweit auf den Markt, wo Stepan ein Brecheisen und zwei Taschenlampen kaufte. Igor bezahlte jedes Mal und fühlte sich nicht wohl dabei – gar zu spezifisch waren ihre Einkäufe.
Seine Ahnung trog ihn nicht. Am selben Abend nahm der Gärtner Brecheisen und Taschenlampen und führte Igor nach draußen.
»Erst gehen wir spazieren, sehen uns ein bisschen um«, sagte er leise unterwegs. »Und dann schauen wir dort, bei Tschagins Haus vorbei. Wofür sind wir sonst hergefahren!«
Der dunkle südliche Himmel hing über ihren Köpfen, in der Nase kitzelte der Geruch des Meeres, irgendwo lärmte ein Radio und sendete Lieder auf Türkisch.
Nachdem sie ein paarmal an Tschagins Haus vorbeigeschlendert waren, betraten sie schließlich das Grundstück und versteckten sich hinter einem Baum rechts von der Haustür.
[44] »Dafür kann man doch ins Gefängnis kommen!«, sagte Igor erschrocken, als er begriff, wie es jetzt weitergehen würde.
»Wofür?! Dafür, dass ich meine Kindheit erkunden will? Wir tragen hier doch keine Safes raus!«, versuchte Stepan ihn zu beruhigen.
Zwanzig Minuten lang horchten sie in die Stille. In dieser ganzen Zeit fuhr nur ein
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