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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Rucksack auf dem Rücken und einen alten Lederkoffer in der Rechten, eilte im Laufschritt zu den Vorortzügen. Igor, der außer seiner Tasche noch zwei Koffer zu tragen hatte, kam dem Gärtner kaum hinterher. Nur gut, dass die Koffer nicht schwer waren. Allerdings weckte dieses Leichtgewichtige der Koffer auch Zweifel am Wert ihres Inhalts.
    In den Pfützen von Irpen spiegelte sich die Sonne. Hier war der Regen anscheinend schon früher vorbeigekommen.
    »Los, wir nehmen ein Auto!«, schlug Stepan vor und sah sich um. Er fühlte sich hier, im Zentrum von Irpen, mit den drei großen alten Koffern sehr unbehaglich. Gar zu sehr stachen einem die Koffer ins Auge. Auch Igor bemerkte die verwunderten Blicke der Passanten.
    Vor dem kleinen Bahnhof standen fünf, sechs Wagen in Erwartung von Kunden. Stepan und Igor wählten einen alten braunen Mercedes Benz Universal und brauchten für den Weg zu Igors Haus nicht mehr als fünf Minuten. Der schnauzbärtige Fahrer im tarnfarbenen Jagdanzug half ihnen, ihr Gepäck aus seinem Wagen zu laden.
    [48] Als Erstes brachten sie dieses Gepäck in Stepans Schuppen.
    »Geh und ruh dich ein bisschen aus!«, sagte der Gärtner fürsorglich. »Komm in einer halben Stunde wieder, und dann sehen wir nach, was drin ist!«
    Igor zögerte, sah Stepan an, warf einen vorsichtigen Blick auf die Koffer, die jetzt auf dem Betonboden unter dem alten Regal standen. Und ging ungern hinaus.
    »Wie war es?«, fragte die Mutter zur Begrüßung. »Habt ihr die Stadt besichtigt? Habt ihr jemanden gefunden? Du hast sicher Hunger?«
    »Einen Tee hätte ich gern!«, bat Igor und ließ die Fragen der Mutter an seinem Ohr vorbeiziehen. Aber sie erwartete anscheinend auch keine baldigen Antworten.
    Igor ging ins Bad und wusch sich. Betrachtete im Spiegel sein Gesicht, bleich und verquollen nach der harten Eisenbahnpritsche. Er fuhr mit der Hand über die unrasierten, stacheligen Wangen, und sein Blick wanderte von selbst zur Ablage unter dem Spiegel, wo Zahnbürsten und Einmalrasierer aus einem Plastikbecher ragten.
    Igor rasierte sich und putzte sich die Zähne. Jetzt fühlte er sich schon etwas munterer, aber gleichzeitig packte ihn immer stärker die Aufregung. ›Was macht wohl Stepan jetzt?‹, dachte er nervös.
    »Kind, der Tee ist fertig!«, rief seine Mutter aus der Küche.
    Igor füllte noch einen zweiten Becher mit Tee, gab einen Löffel Zucker in seinen und zwei in den für Stepan.
    »Oh! Danke!«, sagte der Gärtner überrascht, als er Igor mit den Teebechern erblickte. In den Händen hielt Stepan [49] das vertraute Brecheisen. Der Gärtner legte das Werkzeug auf den Betonboden zu seinen Füßen.
    Den Tee tranken sie schweigend. Sie saßen auf Hockern, die Tür nach draußen hatten sie geschlossen. Von der Decke leuchtete die helle Glühbirne. Igor plagte die Neugier, und von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf die Koffer.
    Endlich griff Stepan wieder nach dem Eisen und beugte sich über einen der Koffer. Eigentlich hätte man ihn auch mit einem einfachen Schraubenzieher aufbekommen. Nur zwei mickrige, mit der Zeit dunkel angelaufene kleine Schlösser, man mochte nicht glauben, dass sich dahinter etwas Kostbares versteckte!
    Der erste Koffer öffnete sich geräuschlos. Drinnen lagen zwei Pakete, mit Bindfaden verschnürt. Festes braunes Packpapier. Jedes Paket von der Größe einer Frauenstiefelschachtel – in solchen Schachteln verwahrte die Mutter Fotos in ihrem Schrank, und stricknadelgespickte Wollknäuel.
    Stepan zog das erste Paket heraus, wog es in der Hand und biss sich nachdenklich auf die Lippen. Er drehte es um und starrte auf drei große Buchstaben: »JSS«, mit Kopierstift geschrieben.
    Stepan seufzte tief, aber sein Gesicht drückte nicht Erschöpfung aus, sondern eine gewisse nachdenkliche Versöhnung. Als hätte er das gefunden, was er sein ganzes Leben gesucht hatte.
    »Josip Stepanowitsch Sadownikow«, sagte er nach einer Pause und fuhr mit dem rechten Zeigefinger über die Kopierstift-Initialen.
    Gleich darauf ging er in die Hocke, legte das Paket auf dem Boden ab und begann es auszuwickeln. Zum Vorschein [50] kam ein dickes, großformatiges Notizbuch. Stepan lächelte schief, hielt es in den Händen und schien nicht zu wissen, was er weiter damit tun sollte.
    »Buch vom Essen«, las er laut den akkurat mit Füllfeder geschriebenen Titel auf dem Umschlag.
    Stepan legte das Buch auf den Boden und nahm das zweite Paket aus dem offenen Koffer. Der ruhige, versöhnte Ausdruck

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