Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
»Er ist ja nicht bei uns gemeldet! Er ist gekommen, und er ist gegangen, er ist sein eigener Herr!«
    »Er ist nirgendwo gemeldet«, sagte Igor. »Nach solchen Leuten sucht gewöhnlich die Miliz…«
    »Beschrei es nicht! Im Leben kann es alles geben! Verhüte Gott, dass du mal in seine Lage gerätst! Und überhaupt sieht man doch, dass er ein ehrlicher und ernsthafter Mensch ist, beim Reden wägt er jedes Wort ab. Nicht so wie du!«
    Igor schwieg. Er warf einen missmutigen Blick zu der Waage auf dem Fensterbrett, goss sich ein viertes Gläschen ein und dachte weiter an den Gärtner.
    Gegen Abend klingelte sein Handy.
    »Hallo!«, erklang Koljans Stimme, fröhlich wie immer. »Was machst du gerade?«
    »Ich sitze zu Hause.«
    [65] »Und, willst du nicht zu meinem Geburtstag kommen?«
    »Ist der etwa heute?«
    »Aber ja! Deshalb rufe ich an! Komm in zwei, drei Stunden zum Club ›Petrowitsch‹! Weißt du noch, die Retro-Party! Hast du ein Pionierhalstuch oder Ähnliches? Dort ist ewige Sowjetunion. Der Besitzer muss ein Ex-Komsomolze sein…«
    Igor warf einen Blick aus dem nassen Fenster. Ihm war überhaupt nicht danach hinauszugehen und erst recht nicht, nach Kiew zu fahren, aber das konnte er dem Geburstagskind nicht sagen, es wäre gekränkt! Sich eine Ausrede auszudenken, in der Art von Erkältung oder Durchfall, dafür war es zu spät. So etwas erzählte man am Anfang eines Gesprächs.
    »Gut, ich überleg mir was, ich habe hier schon begonnen, Kognak auf deinen Geburtstag zu trinken«, seufzte Igor. »Und was möchtest du für ein Geschenk?«
    »Geschenk?! Du weißt ja, ich bin kein reicher Mensch, ich freue mich über alles! Außer Blumen! Die kann ich nicht ausstehen, das ist verwelktes Geld! Also bring lieber das Geld!«
    »Nimmst du auch Rubel?«
    »Ob Rubel, ob Dollar, das ist mir egal!«
    Igor lächelte, als er an die zwei Packen alter sowjetischer Rubel in seinem Koffer dache. »Abgemacht! Dann bekommst du einen Packen Rubel! Bis dann!«
    8
    In Igors Kopf brummte leise der Kognak. Er stand vor seinem Bett und betrachtete die auf der Bettdecke [66] ausgebreitete Milizuniform. Die Lederstiefel, die glänzten und sich hervorragend aufrecht hielten, standen auf dem Boden. Daneben, auf dem Nachttisch, lagen die beiden mit Banderolen versehenen Packen sowjetischer Hundertrubelnoten.
    ›Ich könnte auch alles mitnehmen und mich dort auf dem Klo umziehen‹, dachte Igor und seufzte. ›Was soll’s! Ich ziehe die Jacke über die Uniform, auf der Straße ist es ohnehin finster! Wer wird da genau hinsehen!‹
    Igor stieg in die Stiefel – das Milizionärsschuhwerk war mindestens eine Nummer zu groß. Er holte dicke Wollsocken, zog sie über seine dünnen und probierte die Stiefel wieder an. Jetzt war es den Füßen bequemer.
    Er nickte entschlossen. ›Also, heute Abend bin ich Retro-Miliz! Und zahlen werde ich alles mit Retro-Geld!‹
    Das Halfter mit der Pistole legte er aufs Bett, zog die reithosenartigen Uniformhosen und das Uniformhemd an, zurrte den Gürtel fest und trat vor den Spiegel. Auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, er gefiel sich in dieser Uniform.
    »Super!«, entfuhr es ihm munter. »Das wird die Mädchen umhauen!«
    Einen Augenblick überlegte er, zog die Pistole aus dem Halfter, drehte sie in den Händen. Trotz des Kognakrauschens in seinem Kopf warnte ihn der gesunde Menschenverstand: Mit einer Waffe spaßt man nicht!
    Er schob die Pistole unter die Matratze und verschloss das leere Halfter, nahm vom Tisch die goldene Uhr und steckte sie in die linke Tasche der Uniformhose. Er würde vor dem Geburtstagskind ein wenig damit prahlen, falls es sich gerade so ergab. Er sah aus dem Fenster. Es regnete nicht. [67] Leise ging er hinaus in den Flur, die Mutter sah im Wohnzimmer fern.
    Er zog die Jacke über, betrachtete sich noch mal und war zufrieden. Die Stiefel sprangen nicht besonders ins Auge, und überhaupt zog das Volk aus dem Umland doch an, was es wollte. Er war heute ja auch dem Jungen mit den Armeestiefeln begegnet und hatte sich nicht gewundert!
    Den Blick auf den Boden geheftet und den Pfützen ausweichend, trat er aus dem Gartentörchen und wandte sich Richtung Busbahnhof. Unterwegs fuhr er mit den flachen Händen über die Hosentaschen – beide Rubelpäckchen wölbten sich angenehm hervor. Ja, wenn es Griwni gewesen wären, oder noch besser, Dollars! Der Abend ringsum schien ihm finsterer als gewöhnlich. Er sah zum Himmel, der dunkel und tief über ihm hing. ›Macht ja

Weitere Kostenlose Bücher