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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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meinen Augapfel gehütet. Später, nach der Schule, habe ich ihn losgeschickt, dass er sich Arbeit sucht. Einmal sagte [56] er, er hätte eine gefunden. Fing an, morgens aus dem Haus zu gehen. In die Möbelfabrik, hier in Irpen. Selbst die Straße hat er mir genannt. Erzählte von der Arbeit, von den Freunden, brachte von dort sogar Hocker mit, sagte, er hätte sie umsonst gekriegt, die wären ein bisschen beschädigt. Da, auf denen sitzen wir jetzt ja!« Elena Andrejewna blickte nach unten. »Nach drei Monaten musste ich ihn tagsüber mal dringend sehen. Ich ging in diese Straße, aber dort war keine Möbelfabrik. Ich wollte ihn ausschimpfen, wollte mit ihm zum Arzt, zu einem Psychiater… Jedenfalls habe ich ihm gesagt, dass ich seine Fabrik nicht gefunden hatte. Und er hat auch sofort aufgehört, zur Arbeit zu gehen… Tja, so ist das… Geld zum Leben haben wir bis jetzt, ich bekomme Rente…«
    Sie verstummte und senkte den Blick. Jetzt fühlte auch Stepan sich ein wenig unbehaglich, denn zu dem Stimmungswechsel seiner Gastgeberin hatte ja doch seine Neugier geführt. Aber Elena Andrejewna war nicht lange traurig. Sie sah ihren Gärtner an, und in ihrem Blick erschien wieder Munterkeit.
    »Ist es denn eine schöne Stadt?«, fragte sie und leckte sich die ausgetrockneten Lippen.
    »Otschakow?! Ach, nein, gewöhnlich… grau. Dort ist es im Sommer sicher schön. Aber jetzt nicht.«
    Sie bot Stepan ein Gläschen Wodka an, aber der lehnte höflich ab.
    »Wissen Sie, Elena Andrejewna, ich fahre heute Abend für ein paar Tage weg…«, sagte er nach einer Pause. »Machen Sie sich keine Sorgen! Ich muss Bekannte hier in der Nähe von Kiew besuchen. Und wenn ich wieder da bin, bringe ich [57] Ordnung in Ihren Garten und die Gemüsebeete! Es wird Zeit, alles winterfest zu machen!«
    »Oh, ja«, stimmte Elena Andrejewna zu.
    Ihr war es, als wäre Stepan über etwas beunruhigt. Und er aß auch nervös, ohne den Geschmack der Speisen zu beachten. Dabei schmeckte das Abendessen gut, Elena Andrejewna freute sich selbst darüber, wie weich und würzig das Fleisch mit dem Gemüse geworden war. Nur der Gärtner lobte ihr Abendessen nicht!
    Wenn es nichts zu loben gab – na schön. Aber gegessen hatte er alles bis zum letzten Krümel, und er tunkte auch noch das Weiche vom Brot in die übriggebliebene Fleischsoße.
    7
    Igor erwachte gegen drei Uhr nachts, knipste das Licht im Zimmer an, saß eine Weile nachdenklich im Bett und beschloss dann, nach draußen zu gehen.
    Er trat zum Schuppen und sah zu seinem Erstaunen ein Vorhängeschloss an der Tür.
    ›Er wird doch nicht mit allem abgehauen sein?‹, dachte er.
    Er versuchte sich zu erinnern, wo sie all ihre Ersatzschlüssel hatten, aber es fiel ihm nicht ein. Die Mutter wusste es sicher, aber er konnte sie ja nicht wecken, mitten in der Nacht!
    Igors Stimmung war verdorben. Er kehrte ins Haus zurück und ging auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Im Haus war es ungeheuer still. Die Mutter schlief, und die Mäuse wuselten hier drin nur im Winter, wenn sie vor dem Frost [58] Zuflucht unter den Dielen suchten. Bis zum Frost war es noch eine Weile hin, zwei Monate bestimmt.
    Im Büfett stand schon lange eine Flasche Walnussschnaps bereit. An die dachte Igor, als er die obere Büfetttür öffnete. Es war, als würde die Schnapsflasche ihm im Halbdunkel mit einem besonderen Glitzern zuzwinkern. Er zog sie sorgsam heraus, nahm noch ein kleines Gläschen mit, ging hinüber zum Tisch und setzte sich auf den Stuhl mit dem bunten, von zwei Bändern gehaltenen Häkelkissen auf der Holzsitzfläche. Er füllte sein Glas und versank in Nachdenken, dachte an die nächtliche Schatzsuche in Otschakow, das Abklopfen der Wände, das Herausziehen der Koffer. Wie man es auch betrachtete, gegen das Gesetz hatten sie eindeutig verstoßen! Aber wer verstieß heute nicht gegen die Gesetze?! Vielleicht nur seine Mutter! Übrigens hatte er selbst bis zu ihrer Reise nach Otschakow nie etwas Ungesetzliches getan. Der Wunsch war einfach nicht aufgekommen. Auch damals, in der Otschakower Nacht, ließ etwas ihn zögern. Stepan jedoch überlegte anscheinend keine Sekunde, hatte keinerlei Zweifel. Eher im Gegenteil, von Anfang an war er zu allem bereit gewesen. Nicht umsonst hatte er Igor ja als Erstes zum Markt geführt und dort für sein, Igors, Geld ein Brecheisen gekauft. Und wie gekonnt er es handhabte, Türen aufhebelte und große und kleine Schlösser knackte. Ob er wirklich, wie sein Vater, gesessen hatte?

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