Der Gärtner von Otschakow
Und dann, als er rauskam, hatte seine Tochter ihn zu Hause nicht reingelassen! Da hatte er das Wanderleben aufgenommen!
Igor nippte an dem Schnaps. Er war stark, stark und bittersüß. Er legte sich angenehm schwer auf die Zunge, und sofort schalteten die Gedanken um. Genauer, sie knipsten sich [59] aus. Igor rührte sich nicht mehr. Fuhr sich plötzlich mit der Hand über die nackten Schenkel und spürte an den Beinen die Kälte seiner Hand. ›Soll ich mich anziehen?‹, dachte er, reagierte aber nicht auf den Gedanken. Er trank ohne Eile das Glas aus, stellte die Flasche wieder ins Büfett und kehrte wie zuvor auf Zehenspitzen zurück in sein Zimmer.
Am Morgen weckte ihn der leise Vorwurf seiner Mutter.
»Trinkst du jetzt etwa schon nachts Wodka?«, fragte sie, als sie in sein Zimmer hereinschaute. »Da, nimm dir an Stepan ein Beispiel! Der Mann trinkt überhaupt nicht!«
»Er hat ja sein Fass schon ausgetrunken!«, antwortete Igor verschlafen, schlug die Augen auf und sah zur Uhr – halb acht. »Ist Stepan denn wieder da?«
»Ich hab ihn nicht gesehen! Willst du frühstücken, dann steh auf! Schau, die Leute gehen schon zur Arbeit!« Sie wies mit dem Blick zum Fenster.
Igor seufzte. ›Jetzt fängt sie gleich an, von Arbeit zu reden!‹, dachte er.
»Woran fehlt es uns denn?«, fragte Igor, während er vom Bett aufstand.
»Und wenn ich keine Rente hätte?« Die Stimme der Mutter klang lauter als gewöhnlich.
»Was für eine Rente hast du denn?! Tausendfünfhundert Griwni! Zinsen von der Bank aber hole ich zweihundert Dollar im Monat! Ist das etwa wenig?«
»Das ist Parasitentum«, sagte die Mutter leiser. Sie hatte Angst, dass dieser Streit über den Sinn der Arbeit mit dem üblichen Krach und den zwei Tagen gegenseitigen Ignorierens enden würde. »Dafür haben sie einen zu sowjetischer Zeit ins Gefängnis gesteckt!«
[60] »Deshalb ist die Sowjetunion auch zusammengebrochen!«, brummte Igor und schaltete ebenfalls einen Gang zurück. »Reicht das Geld uns denn nicht? Bis jetzt reicht es! Und wenn eine interessante Arbeit auftaucht, dann sehe ich sie mir auf jeden Fall an!«
Sie lebten tatsächlich von den Bankzinsen des nicht geringen Preisunterschieds zwischen der Immobilie, die sie in Kiew verkauft, und jener, die sie in Irpen gekauft hatten. Genau einmal pro Monat fuhr Igor bei der Bank vorbei und hob das Geld ab. Er brachte es nach Hause, legte es vor seiner Mutter auf den Tisch, und dann nahm er sich eine Hälfte und überließ der Mutter die andere. Er hatte sich schon so an dieses Dasein gewöhnt, dass er ebendiese Fahrten zur Kiewer Bank als seine Hauptarbeit betrachtete.
Elena Andrejewna beruhigte sich schnell, häufte ihrem Sohn heiße Buchweizengrütze auf den Teller, legte ein Stück Butter obenauf, und es schmolz sofort und zerlief.
Igor aß den Brei ohne Hast, mit einem großen Löffel. Dabei sah er aus dem Fenster.
»Ich werd mich umschauen«, versprach er auf einmal mit einem schuldbewussten Blick zu seiner Mutter. »Vielleicht ist ja schon eine interessante Arbeit aufgetaucht… Mir ist ja selbst langweilig, so ohne etwas zu tun.«
Elena Andrejewna nickte. »Es wird doch alles teurer!«, sagte sie. »Da kostet der Käse schon 60 Griwni das Kilo! Aber die Rente erhöhen sie mir nicht, und unsere Zinsen sind nicht gewachsen…«
Igor hielt es für sinnlos, dieses traurige Gespräch weiter in Gang zu halten. Er aß seinen Brei auf, schenkte sich Tee [61] ein und überlegte, womit er sich beschäftigen könnte. Aber seine Gedanken wanderten von selbst zu Stepan, genauer, dessen Abwesenheit. Dann dachte er an den alten Koffer mit der Milizuniform und den Packen sowjetischer Rubel, dachte an die Pistole im Halfter. Da hatte Stepan ihm etwas Schönes geschenkt! Obwohl, in Kiew am Andreashügel konnte man Touristen so eine Uniform für gutes Geld verkaufen! Vielleicht sollte er sie dort hinbringen?
Igor seufzte. Er kehrte in sein Zimmer zurück, klappte den Koffer auf und holte die Milizuniform heraus, befühlte die Taschen und fand in einer den Dienstausweis eines Leutnants der Miliz, Sotow I.I.
»Was, auch ein Igor?« Er lächelte, während er das kleine Schwarzweißfoto betrachtete. Der Bursche darauf war vielleicht fünfundzwanzig, nicht mehr!
Die zwei Packen sowjetischer Hundertrubelscheine fühlten sich in Igors Hand sehr gewichtig an. Igor versank in Nachdenken. Was wusste er von damals, als in dem Land, das es nicht mehr gab, dieses Geld umlief, für das man ebenfalls schon
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