Der Gärtner von Otschakow
ich ihr meinen Ausweis zeigen und ihre Papiere verlangen. Da würde sie nicht so hinterhältig lächeln!‹
Aber Igor war kein Milizionär, auch wenn er sich durchaus auf gewisse Weise als Ordnungshüter oder auch als Hüter der Gerechtigkeit empfand. Vielleicht deshalb, weil er sich im Spiegel so gefiel, wenn er die alte Milizuniform anzog. Wenn man sich in irgendeiner Uniform wohl fühlt, dann beginnt man dieser Uniform von innen zu entsprechen.
In Kiew wehte ein kalter Wind, aber sonst tat sich das Wetter durch nichts hervor. Ein grauer, bewölkter Himmel. Der geschäftige Lärm der Autos, frühe Dämmerung, die [128] aufflammenden abendlichen Lichter der Stadt. Plakatflächen an dicken Masten, die mit leisem Summen von einer Reklame zur anderen wechselten.
Nachdem er sich mit Koljan in Podol getroffen hatte, wanderten sie die Sagajdatschny entlang und hielten vor einem vertrauten Café. Der Wunsch, an diesem Ort zu versumpfen, verging allerdings beim ersten Blick hinein – die laute Musik verscheuchte sie. Sie fuhren mit dem Bus eine Haltestelle weiter zum Kreschtschatik und begaben sich über die Kleine Schitomirskaja zum irischen Pub. Dort war es komischerweise ruhig und leer. An Pseudoschultafeln stand überall mit Kreide der Zeitplan von Fußballspielen angeschrieben, um die Fans von Fußball und Bier herbeizulocken. In diesem Plan fehlte allerdings das heutige Datum, was ihnen Hoffnung auf einen angenehmen Abend einflößte.
»Ich muss mich erst aufwärmen.« Igor biss sich auf die Unterlippe und sah hoch zu der jungen Bedienung, die bei ihnen haltgemacht hatte. »Fünfzig Gramm ›Chortiza‹-Wodka und ein Glas Tschernigower Helles!«
Koljan lächelte.
»Oh-oh, du mischst«, sagte er. »Ich bin monogam. Für mich nur Wodka oder nur Bier!« Er sah hinauf zu dem Mädchen. »Ein Glas Lwower und Suchariki-Salzkekse!«
Das Mädchen ging. Koljan wandte den Blick wieder zu seinem Freund. »Na, was tut sich bei dir? Pack aus!«
»Warte mal, ich muss mich erst entspannen.« Igor winkte ab, ihm war plötzlich der Gedanke gekommen, dass seine Erzählung Koljan als Phantasterei oder Irrsinn erscheinen mochte. Hätte er von Koljan eine solche Geschichte gehört, hätte er sie auch für Irrsinn gehalten.
[129] »Klar.« Koljan nickte. »Das habe ich mir eigentlich schon gedacht… Dir ist einfach langweilig da, in deinem Dorf! Gib es zu! Irpen ist nicht Kiew! Dort gibt es doch nicht mal wen, mit dem man intelligent saufen könnte! Nur Gespräche wie ›Bin ich dir egal? Hä, bin ich dir egal?‹«
Igor schüttelte den Kopf.
Aber Koljan hatte sich schon sich selbst und den eigenen Gedanken zugewandt. »Weißt du, heute reiß ich das Maul auf! Zum ersten Mal hab ich Kröten fürs Hacken bekommen! Zweitausend Grüne!«
»Wie das?« Igor staunte. »Hast du von einem fremden Konto Geld genommen?«
»Wo denkst du hin! Nein, ich hab es mit ehrlichem Hacken verdient! Bin in die Mailbox eines kleinen Reichen gekrochen und habe seinen Mailwechsel mit der Geliebten kopiert! Und dann seiner Frau verkauft! Sie war begeistert!«
Igors Brauen gingen nach oben. »Begeistert?«, fragte er nach.
»Na, nicht begeistert, eher… Verzweifelt war sie aber nicht, das ist sicher! Jetzt quetscht sie Geld aus ihm heraus. Er wird zahlen für den Seitensprung…«
Das ersehnte Gläschen Wodka senkte sich vor Igor auf den Tisch, im nächsten Augenblick stellte eine zarte Frauenhand ein Bierglas daneben. Ein flüchtiger Sonnenreflex, der von der sich öffnenden Glastür herflog, ließ das Bier in appetitlichem, bernsteinfarbenem Licht funkeln. Igor kippte das Gläschen hinunter und trank sofort Bier hinterher. Auf der Zunge blieb angenehme, erfrischende Bitterkeit zurück. Er bekam Lust, diesen Nachgeschmack zu verlängern oder zu verstärken, und sah sich zur Bartheke um.
[130] »Mädchen, noch fünfzig Gramm!«, rief er und lächelte, als er den Blick der Bedienung auffing.
»Alter! Iss wenigstens was dazu!« Koljan deutete mit dem Kopf auf den Teller mit den Salzkeksen.
Igor warf sich zwei Kekse in den Mund und kaute krachend. »Du wirst es nicht glauben«, sagte er und sah seinen Freund listig an.
Ihm fiel ein, wie Koljan ihn auf die Folter gespannt hatte, bevor er ihm Stepans auf dem Computer wiederhergestellte Tätowierung gezeigt hatte. ›Na gut‹, dachte Igor schadenfroh. ›Du erlebst jetzt von mir ein Déjà-vu!‹
»Was werde ich nicht glauben?«
»Ja… du wirst es ganz sicher nicht glauben… nein, irgendwann
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