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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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danach entscheiden, ob ich zum Arzt muss oder nicht!‹
    Er betrat den Hof, schloss sorgsam das Törchen hinter sich, blieb stehen und betrachtete den Zaun, mit dem sich heute Stepan so plötzlich befasst hatte. Er sah genauer hin, und tatsächlich standen da drei neue Pfosten anstelle der alten. Er ging hinters Haus und sah zum Schuppen. Unter der verschlossenen Tür drang ein Lichtstreif hervor, und auch aus dem kleinen Fensterchen rechts von der Tür kam Licht.
    ›Wieso schläft er nicht‹, überlegte Igor. ›Na, dann gucken wir mal!‹
    Vorsichtig kletterte er auf die Bank unterm Fenster, richtete sich auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und klebte mit der linken Wange an der kleinen Scheibe.
    Stepan saß auf dem Hocker direkt unter der von der Decke hängenden Lampe und las aufmerksam in einem großen Buch. Als Igor genauer hinsah, erkannte er dieses Buch – sie hatten es aus dem ersten Koffer gezogen.
    »Oho.« Igor stieg von der Bank und spuckte aus, kehrte [137] zum Haus zurück, öffnete vorsichtig, so leise er konnte, die Tür und trat ein.
    In der Küche holte er die angebrochene Flasche Kognak und ein kleines Glas aus dem Schränkchen.
    »Dann mit Gott«, flüsterte er, bevor er es leerte und wieder füllte.
    Die Kognakwärme blieb auf der Zunge zurück. Er ging über den dunklen Flur ins Wohnzimmer und weiter in sein Schlafzimmer. Dort zog er die Milizuniform an, setzte die Mütze auf, schlüpfte in die Stiefel, steckte noch die schwere goldene Taschenuhr ein und trat ans Fenster, vor dem es finster wie im Erdkeller war.
    »Na? Zeit zum Einsatz?!«, flüsterte er sich zu.
    13
    Der dunkle Teil des Weges von Irpen nach Otschakow kam ihm diesmal endlos vor. Vielleicht, weil Igor langsam ging, er spürte wieder die Schwere des am Abend Getrunkenen. Die Zeit verrückte in Igors Kopf, die Vorstellung von Stunden und Minuten verschwand, nur die dunkle Zeit des Tages blieb, durch nichts begrenzt als das Dunkel.
    Eine plötzliche, vage Unruhe ließ Igor anhalten. Er tastete seine Hemdtaschen ab, fuhr mit den Händen weiter zur Uniformhose, stieß mit der Rechten an das Halfter mit der Pistole. Und dann legten die Finger sich auf die zwei sowjetischen Rubelpäckchen, was den nächtlichen Zeitenwanderer sofort beruhigte. Er setzte seinen Weg fort.
    Kaum tauchten vor ihm der vertraute rötliche Lichtschein [138] hinter dem Zaun der Kellerei und die Straßenlaterne vor dem Tor auf, regte sich in seiner linken Hosentasche die goldene Uhr und tickte los, als wäre eine Vibrierfunktion eingebaut, wie bei den Handys.
    Igor ging ein wenig schneller und behielt das Tor im Auge.
    ›Jetzt fährt der Wagen heraus‹, dachte er. ›Dann kommt Wanja mit dem gestohlenen Wein…‹
    Das Tor, bis zu dem es noch etwa dreihundert Meter waren, ging auf, und Wanja Samochin schlich heraus. Er blieb stehen, sah sich um, rückte den Weinschlauch auf der rechten Schulter gerade. Er blickte zurück, winkte dem Wächter zu und ging los Richtung Stadt, von Igor fort.
    Igor schien es, als würde die Dunkelheit Wanja im nächsten Augenblick restlos verschlucken, und dann würde er, Igor, das nächtliche Otschakow nicht finden.
    Igor wechselte in einen raschen Walking-Schritt und widerstand der Versuchung zu rennen nur aus einem Grund – er war nicht sicher, dass er dabei das Gleichgewicht halten könnte und nicht hinfallen würde. Die rhythmischen Schläge seiner harten Stiefelsohlen trieben ihn an. Er dachte auch schon klarer und leichter als eben noch, erinnerte sich wieder an das Zimmer und Wanjas Haus, in dem er mehrmals eingeschlafen und nur einmal aufgewacht war. Doch konnte er kaum noch Wanjas Rücken erkennen. Igor verlor die Nerven und rannte schließlich los.
    »Iwan!«, rief er im Rennen.
    Wanja Samochin blieb stehen, tat einen Schritt zur Seite und sah zurück. Als er den auf ihn zulaufenden Menschen bemerkte, stieß er den Weinschlauch unter die nahen Bäume und hob aus irgendeinem Grund die Arme.
    [139] »Was soll das?« Igor war stehengeblieben und sah in Wanjas erschrockenes Gesicht.
    »Oh!« Der Bursche wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. »Sie haben mich erschreckt, Genosse Leutnant!«
    Er kroch unter einen Baum, holte seinen Weinschlauch hervor und legte ihn wie gewohnt über die rechte Schulter.
    »Sie waren ja lange weg«, sagte er.
    »Wie lange?«
    »Wohl vier Tage…«
    Igor antwortete nicht.
    »Hast du es nicht satt, Wein zu stehlen?«, fragte er stattdessen.
    »Den, der sich schützt,

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