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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ein bisschen was zu erzählen. Hab hier ein Ding gedreht für zweitausend Dollar! Die Finger nicht von den Tasten bekommen!«
    Nach dem Gespräch mit seinem Freund wurde es Igor fröhlicher zumute. Jetzt musste er irgendwie noch bis zum Abend durchhalten. Obwohl, wozu warten? Er konnte sich auch schon früher nach Kiew aufmachen und ein bisschen spazierengehen. Kiew ist eine große Stadt, dort fliegt die Zeit [125] mit Schallgeschwindigkeit. Du bist kaum eine Straße entlanggegangen, und schon ist Abend!
    Igor verließ gerade den Hof, als Stepan ihn rief.
    »Vielleicht holen wir zusammen die Pfosten?«, schlug der Gärtner vor.
    »Ich kann nicht, komme zu spät! Fahre zu einer Verabredung nach Kiew!«, rief Igor hastig, der nicht die geringste Lust hatte, Stepan bei seiner Zaunreparatur zu helfen.
    ›Er hat sich selbst eine Arbeit gefunden, soll er sie auch selbst machen!‹, dachte er, während er sich von seinem Haus entfernte.
    Der Kleinbus nach Kiew fuhr »gemäß Belegung« ab. Genau mit diesen Worten hatte der Fahrer auf Igors Frage »Wann fahren wir?« geantwortet. Gereizt betrachtete Igor die zehn freien Plätze im Bus. Es war eine ruhige Zeit, gerade in der Mitte zwischen dem morgendlichen Gedränge und der abendlichen Rushhour. Jetzt fuhren nur Müßiggänger und Rentner spazieren. Igor rechnete sich natürlich zu den Müßiggängern, bis zum Rentner war es noch eine Weile hin. Er sah aus dem Fenster des Kleinbusses und trieb die Rentner und Nichtstuer, die um diese Zeit eine Fahrt in die Stadt planten, in Gedanken zur Eile an. Eine halbe Stunde verging, bis der letzte Platz im Kleinbus von einer jungen Frau mit einer Computertasche besetzt wurde, die sie sich sorgfältig auf die Knie legte. Der Fahrer, der offenbar selbst mit Ungeduld auf den letzten Fahrgast gewartet hatte, ließ im gleichen Moment den Motor an. Der Kleinbus fuhr los.
    Die letzte Passagierin, die den Platz vorn neben der Tür eingenommen hatte, sah sich um und ließ den [126] aufmerksamen Blick über die Gesichter der übrigen Fahrgäste schweifen. Igor erschien ihr Blick sofort verdächtig.
    Wie um ihre Seltsamkeit zu unterstreichen, zog die Frau aus ihrer Tasche eine Mappe und holte daraus irgendwelche Papiere und Bündel mit billigen Kugelschreibern hervor. Sie begann, etwas auf jedes Blatt zu schreiben. Dann zählte sie Blätter und Kugelschreiber ab und sah sich wieder nach den anderen Passagieren um, ohne Igors fragenden Blick zu beachten.
    ›Sie hat uns gezählt‹, dachte Igor erstaunt und verärgert.
    Der Kleinbus hatte inzwischen Irpen verlassen. Der Weg wurde gerader. Zu beiden Seiten der breiten Landstraße tauchten Kiefern auf.
    »Herrschaften Passagiere«, sagte plötzlich die Frau mit der geschulten Stimme einer Handelsvertreterin. »Sie haben jetzt die Möglichkeit, einen koreanischen Staubsauger zu gewinnen. Bitte füllen Sie diese Fragebögen aus«, sie zeigte den zu ihr aufblickenden »Herrschaften« den Stapel Fragebögen mit den Kugelschreibern. »Dies ist eine offizielle Marktstudie. Und den Kugelschreiber dürfen Sie anschließend behalten.«
    Sie erhob sich und reichte jedem einen Fragebogen. Das Erstaunlichste war, dass alle Passagiere die Hände danach ausstreckten. Auch Igor nahm, wie alle, automatisch das, was man ihm gab, und senkte den Blick schon auf den Fragebogen.
    Name, Vorname, Anschrift, E-Mail, Telefon, monatliches Gehalt, Anzahl der Rentner in der Familie, Größe der Wohnung in Quadratmetern.
    ›Donnerwetter!‹, staunte Igor. ›Vielleicht soll man ihr [127] auch noch den Wohnungsschlüssel zum Fragebogen dazulegen?‹
    Er reichte den Fragebogen mit dem Kugelschreiber an die Frau zurück.
    »Gefällt Ihnen etwas nicht?«, fragte sie mit hinterhältigem Lächeln.
    »Mir gefällt nicht, wenn man mir in die Seele schleicht.« Igor versuchte ihr Lächeln zu kopieren.
    »In dem Fragebogen steht kein Wort von der Seele. Und auch kein Wort von Religion«, entgegnete sie ruhig. »Und es interessiert sich auch niemand dafür, wie viel Flaschen von welchem Bier Sie am Tag trinken!«
    Igor sah sich nach den anderen Passagieren um. Alle außer ihm füllten beflissen die Fragebögen aus.
    ›Eine Betrügerin‹, entschied Igor endgültig, stichelte aber nicht weiter, denn er begriff, dass er der Frau an Scharfsinn eindeutig unterlegen war und, vielleicht noch schlimmer, sich als Trottel erweisen würde, der keine Antwort mehr fand.
    ›Ja, wäre ich ein Milizionär in Zivil‹, überlegte Igor, ›dann würde

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