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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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rechten Hand, die tatsächlich auf der Tischplatte herumklopften. Kaum verzog er das Gesicht, erstarrte die Hand.
    »Sie hat’s dir schön gegeben!«, bemerkte Igor gutmütig und sah der jungen Frau hinterher.
    Koljan antwortete nicht. Er trank sein zweites Bierglas aus und stellte es zur Seite.
    Statt der sechs Gläschen brachte Kellnerin Lena für Igor eine Wodkaflasche und für Koljan ein frisches Glas Bier.
    Igor füllte ein Gläschen, trank es aus und betrachtete seinen Freund, den Computermann, mit einem belustigten Funkeln im Blick.
    »Sei nicht traurig«, sagte er. »Mit der Frau des Geschäftsmanns wird es ganz sicher was! Hauptsache, ihr Mann erwischt euch nicht!«
    Fünf Minuten später war auch Koljan fröhlicher geworden. Ihr Gespräch entspann sich lustig, mit Scherzen und Anekdoten. Sie stichelten nicht weiter. Der Wodka schwand [134] in beneidenswertem Gleichmaß aus der Flasche. Als die letzten Tropfen in das Gläschen fielen und es diesmal nur bis zur Hälfte füllten, war es vor dem Fenster des irischen Pubs beinah Nacht. Zwei Tische weiter saßen zwei Frauen, Freundinnen. Beide waren etwa dreißig. Die eine mit leuchtend rot gefärbtem, kurzem Haar, in Jeans und rotem, dünnem Rollkragenpullover, alles hauteng. Die andere eine Brünette in engen Lederhosen und mit Lederweste über einer schwarzen Bluse.
    Andere Gäste gab es in dem Pub nicht.
    Igor musterte die Rote, ihre klaren, harten, aber angenehmen Gesichtszüge.
    »Ich geh mich bekanntmachen«, sagte er und erhob sich mit Mühe vom Tisch.
    Er trat zu den Frauen und heftete den Blick auf die Rote.
    »Sind Sie zufällig vielleicht aus Otschakow?«, fragte er und lachte listig-betrunken.
    Beide Frauen starrten Igor ins Gesicht. Auf ihren Lippen erschien ein belustigtes Lächeln.
    »Nein«, antwortete die Rote. »Wir sind überhaupt aus Mariupol. Vielleicht trinkst du mit uns ein kleines Bier?« Sie wies mit dem Kopf auf einen freien Stuhl.
    Selbst durch das betrunkene Gewölk in seinem Hirn hindurch spürte Igor, dass er gehen musste. Wovor hatte er mehr Angst, vor sich, in seinem betrunkenen Zustand, oder vor ihnen, nüchtern im Vergleich zu ihm, und frech? Das war jetzt nur schwer auseinanderzuhalten.
    »Na, wenn Sie nicht aus Otschakow sind, dann entschuldigen Sie!«, sagte er mit sich schon verknotender Zunge und kehrte an seinen Tisch zurück.
    [135] »Kommst du allein nach Hause?«, fragte sein Freund besorgt.
    Igor nickte entschieden.
    Bevor sie sich verabschiedeten, hielt Koljan, der dank seiner Bier-Monogamie zu dieser späten Stunde noch vergleichsweise nüchtern war, für Igor einen Wagen an und setzte ihn auch noch auf den Rücksitz des roten Lada, dessen Fahrer sich als Privattaxi etwas dazuverdiente. Koljan teilte dem Fahrer dann auch mit, wo er den umnebelten Passagier abliefern sollte. So dass der eingeduselte Igor nicht einmal merkte, wie ihn der rote Lada zur Metrostation Niwki fuhr, wo sich gerade der letzte Kleinbus des Tages zur Abfahrt bereitmachte.
    Die Fahrt in dem Lada hatte Igor eingeschläfert, dafür schüttelte der Kleinbus nach Irpen ihm zwar nicht die Seele, aber einen beträchtlichen Teil Alkohol aus dem Leib, das stand fest. In Irpen entstieg er dem Bus gemeinsam mit ein paar ebenso späten Heimkehrern wie er und wanderte, selbst davon überrascht, mit leichtem, ruhigem Schritt nach Hause. Mochte die verwegene Fahrweise des Busfahrers den Alkohol aus seinem Körper herausgeschüttelt haben, im Kopf hing noch immer Nebel, und die Gedanken schienen im Augenblick, wo sie heranreiften, zu stolpern, abzubremsen, auf die falschen Wörter zu stoßen. Nur die Füße führten ihn zielstrebig zu seinem Haus.
    ›Vielleicht ist das aber wirklich alles Irrsinn?‹, formierte sich endlich in seinem Kopf der so mühsam geborene Gedanke. ›Vielleicht werde ich zum Alkoholiker und sehe deshalb Dinge, die es in echt nicht gibt? Eine leichte Form des Säuferwahnsinns? Nur ohne weiße Mäuse?! Und die rote [136] Walja? Und auch die Rote von heute Abend? Wieso erscheinen mir diese Roten?! Vielleicht ist das ein Spezialdelirium?‹
    Igor erinnerte sich an das Gesicht der heutigen Roten. Aber doch, wirklich, ihm kam es vor, als ähnelte sie ihr sehr, jener roten Walja vom Otschakower Markt. Nur, wenn es jene Walja in echt nicht gab, an wen erinnerte ihn die hier dann? An die imaginäre Walja vom imaginären Otschakower Markt des Jahres 1957?
    ›Verrückt‹, fuhr Igor in seinen Gedanken fort. ›Ich muss das überprüfen… Und

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