Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
jemand ein Haus verkauft, besser noch, gleich zwei nebeneinander. Klar? Auch ich erkundige mich. Zu zweit finden wir ja vielleicht etwas!«
    Igor nickte. Sein Blick blieb an Stepans linker Hand hängen. Ihm fiel ein, dass er sie verbunden gesehen hatte, aber jetzt gab es an seinem Handgelenk keinen Verband mehr.
    [122] Stepan, der Igors Blick bemerkte, hob seine Linke und betrachtete selbst die mit Jod bestrichenen Schrammen.
    »Manchmal muss man sogar alte Freunde schlagen«, sagte er. »Damit sie dran denken, mit wem sie reden… Juwelier Paschka hat vergessen, dass wir uns seit dreißig Jahren kennen. Hat zuerst nicht den wahren Preis für unseren Schatz geboten, wollte seinen alten Freund übers Ohr hauen. Aber dann ist er noch zur Vernunft gekommen.«
    Gegen Mittag überfiel Igor die Erschöpfung, und er legte sich hin. Lange konnte er nicht einschlafen, dachte an Stepan und seine Tochter, an das Geld, das sie von irgendeinem Juwelier Paschka erhalten hatten, daran, dass Stepan jetzt zwei Häuser, und das möglichst nebeneinander, suchte. Das seltsame Gefühl wich nicht – das Gefühl, als wäre Stepan wirklich sein Verwandter, ein Verwandter, über den er, Igor, fast nichts wusste.
    Draußen brach plötzlich ein Regen los, die Luft füllte sich mit herbstlicher Feuchtigkeit. Und das monotone, leise Rauschen des Regens auf den noch nicht abgefallenen Blättern der Bäume vor dem Fenster wiegte Igor in den Schlaf. Endlich schlummerte er ein, nachdem er noch einmal an das schöne und traurige Gesicht Aljonas gedacht hatte, an ihren langen Blick zum Abschied in dem engen kleinen Flur in der Grünen Straße.
    12
    Stepan nahm sich gleich morgens den Zaun vor. Er war guter Stimmung und hatte offenbar beschlossen, auch etwas für [123] Elena Andrejewnas Stimmung zu tun oder einfach seine Abwesenheit mit hervorragender Arbeit zu kompensieren. Das Objekt seiner Bemühungen hatte er selbst ausgesucht.
    »Der Zaun ist ein bisschen schwächlich geworden«, sagte er beim Frühstück. »Ich habe gestern, als ich das Törchen schloss, bemerkt, wie ihn direkt eine Welle durchlief! Anscheinend sind ein paar Pfosten gefault!«
    Die Mutter nickte, Dankbarkeit im Blick.
    »Eine schöne Waage haben Sie.« Stepan wies mit dem Kinn zum Fensterbrett. »Sooft ich hinsehe, denke ich über mein Leben nach…«
    »Die ist noch von meiner Großmutter«, antwortete die Mutter und sah ebenfalls liebevoll auf die kupfernen Waagschalen. »Sie hat sie ihr Leben lang mit sich geschleppt. Auch in die Evakuierung nach Sibirien, im Krieg. Und zurück. Dafür hat sie fast ihren Neunzigsten noch erlebt!«
    Stepan sah die Mutter nachdenklich an.
    »Sie sind eine gute Frau«, sagte er, trank den Tee aus und machte sich an die Überprüfung des hölzernen Zauns. Einmal auf der Gartenseite, einmal auf der Straßenseite schritt er den Zaun ab. Igor, der mit seiner zweiten Tasse Tee in der Küche geblieben war, beobachtete den Arbeitseifer des Gärtners interessiert durchs Fenster. So lange, bis Stepan kurz ins Haus kam.
    »Drei Pfosten muss man ersetzen«, erklärte Stepan sachlich. »Das werden etwa hundertfünfzig Griwni!«
    Igor wunderte sich. »Wir sollen welche kaufen?«
    »Na, ja wohl nicht stehlen!« Stepan breitete die Arme aus. »Nicht weit von hier verkauft einer Baumaterial auf seinem Hof. Da gibt es auch Pfosten.«
    [124] Igor ging, immer noch betreten, in sein Zimmer und zog einen Zweihunderter aus dem Packen, den er von eben diesem Stepan erhalten hatte.
    »Das Restgeld kriegst du zurück«, versprach Stepan.
    Wieder allein, ergab Igor sich der herbstlichen Stimmung und wurde schwermütig. Am Himmel war alles grau, bewölkt. Regen würde es keinen geben, aber auch keine Sonne. Jeder Tag jedoch, ob ein düsterer oder ein heißer, muss richtig gefüllt sein, sonst kann man sein Datum einfach aus dem Leben streichen. Igor wollte nichts aus seinem Leben streichen. Er verstand, dass letzten Endes er die Tage seines Lebens mit Ereignissen und Nichtstun füllte. Er selbst war gefragt.
    Da dachte er an jenes Parallel-Otschakow und seine Bewohner. Ja, dort war ihm das Adrenalin in den Kopf geschossen! Dort war Leben, obwohl auch dort der Herbst begann. Aber hier?!
    Und Igor rief Koljan auf dem Handy an, fragte ihn nach seinen Plänen für den Abend.
    »Du willst trinken?«, erriet sein Freund.
    »Nicht bloß trinken, sondern dir auch was erzählen!«
    »Komm gegen sechs, setzen wir uns irgendwo rein!«, stimmte Koljan bereitwillig zu. »Ich hab auch

Weitere Kostenlose Bücher