Der Gärtner von Otschakow
Augen waren geschlossen.
Eine halbe Stunde später ging die Haustür wieder auf, und zwei Gestalten traten ein. Im Wohnzimmer blieben sie bei dem Körper in der Milizuniform stehen.
»Der ist nicht Miliz, der ist vom NKWD «, erklang die Stimme Fimas. »Und du hast ihn hergeführt! Wieso zum Teufel habe ich dich aufgenommen?! He?«
»Wie kommst du darauf, dass er wegen mir…?«, erwiderte verwundert eine zweite, heisere Stimme.
»Josip, er hat nach deinem Kleinen gefragt! Nach Stepan! Woher kann irgendein Milizionär was von deinem Stepan wissen?! He?«
»Hast du ihn kaltgemacht?!«, ächzte plötzlich Josips Stimme. »Das ist… Na gut… Ein Glück, dass ich Stepan nach Odessa geschickt habe! Ach, was für ein Glück. Als hätte ich es gespürt! Jetzt heißt es abhauen.«
[247] »Abhauen? Aus meinem Haus? Was denkst du denn! Ich bin ein Glückskind. Es wird auch diesmal klappen! Wir bringen ihn zum Vogel mit den Eiern. Das gibt was zu lachen, die Miliz findet einen toten NKWD ler am Nationaldenkmal, umweht von Selbstgebranntem!«
»Vielleicht lieber unter die Dielen, zu dem Leutnant?«
»Nein, Josip, du kennst kein Maß! Ein Dieb lässt sich von keinem was sagen! Nicht dort, in Ust-Ilim, wo Die-be dir geholfen haben, und nicht hier, wo du bei mir untergekommen bist… Du willst, dass ich mein Leben über einem Friedhof lebe, über Leichen schlafe, über Leichen trinke! Nein, einer reicht! Wir bringen ihn weg! Nachts sieht uns keiner! Die Otschakower Nacht gehört uns, nicht ihnen. Vom Morgen an sind sie die Herren! Aber nachts wir!«
»Wie bringen wir ihn denn da hin?«, fragte Josip ratlos.
»Ich habe einen langen Mantel, wir wickeln ihn ein und tragen ihn…«
Das Leben, das sich in der Tiefe von Igors reglosem Körper versteckte, fühlte, wie dieser Körper über den Boden gerollt, angehoben und wieder abgelegt wurde und wie man ihn dann, kurz darauf, schaukelnd irgendwohin trug.
Die Nacht war menschenleer, windstill und sternenlos in Otschakow.
22
Das Leben, das sich tief in Igors reglosem Körper verbarg, hörte plötzlich einen dumpf dröhnenden Schlag, begleitet von einem kurzen Beben des ganzen Körpers.
[248] Zwei Beinpaare in groben, schweren Stiefeln machten neben ihm halt.
»Vielleicht nehmen wir seine Kanone und schießen ihm in die Stirn. Dann denken sie, er hat gesoffen und sich erschossen?«, erklang Fimas unsichere Stimme müde. »Oder soll ich die Kanone behalten?«
»Das lohnt nicht«, sagte Josip. »Wieso einen Toten noch…? Und vergiss die Pistole, sonst lassen sie dir keine Ruhe, du stehst hier als Erster im Rampenlicht…«
»Na gut«, sagte Fima langsam. »Aber ziehen wir den Mantel unter ihm weg. Den kann ich noch brauchen.«
Blitzschnell beugte Fima sich über den liegenden Körper, und wie ein Blitz aus seiner Hand stach den Körper etwas in die Rippen. Dann packten Fimas Finger fest den Mantelsaum.
Als der Mantel unter ihm fortgezogen wurde, rollte Igor ein wenig zur Seite. Er lag jetzt auf dem Rücken und berührte mit dem Kopf fast die Pyramide aus Kanonenkugeln, auf der der Adler thronte und den Sieg Suworows über die Türken markierte.
Die Schritte der beiden Stiefelpaare verklangen in der Nacht. Aus dem nahen Gras kam ein Igel gelaufen, blieb stehen, streckte sein spitzes Schnäuzchen zum Himmel.
Vom Himmel tröpfelte es. Zuerst schlugen dicke Tropfen auf die Erde, raschelten auf dem Gras. Und dann wurden sie von den Strömen eines Platzregens abgelöst, die ganze Stadt hüllte sich in den nächtlichen Regen, alles erglänzte, die Erde, das Gras und das Denkmal. Wieder wurde Igors Hemd langsam nass, Wasser ergoss sich auf sein Gesicht. Und es war, als gäbe dieses Wasser dem in Igor verborgenen, [249] zu kaum mehr etwas fähigen Leben ein Signal. Oder waren es die Regenströme, die in Igors halbgeöffneten Mund flossen – doch etwas in ihm geschah, etwas regte sich in seinem Körper, ein Mechanismus sprang aus der Sperre und begann mit seiner noch schwachen Kraft andere Mechanismen anzustoßen, die den Körper innerlich und äußerlich in Bewegung brachten. Igors Lider zitterten wieder und gingen auf. Im Mund bekam das Regenwasser plötzlich den süßen, ersehnten Geschmack. Und Igor spürte die mögliche Rettung, begriff sie nicht, sondern spürte sie, wie ein Tier, nicht wie ein Mensch. Sein Körper zuckte, schwerfällig und unwillkürlich. Und dann lag er auf der Seite. Sein Blick, schwach, blinzelnd, bemerkte, wie die Erde unter seinem Kopf sich in eine
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