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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Regenpfütze verwandelte. Die Ränder dieser Pfütze liefen auseinander, das hieß, sie wurde größer.
    Igor neigte den Mund mit all seiner Kraft zu der Pfütze. Und spürte Wasser auf den Lippen, süßes, kaltes Wasser. Er schluckte und senkte die Lippen noch weiter hinein, streckte die Zunge heraus, um, wie ein Hund, noch mehr dieser lebenspendenden Flüssigkeit aufzulecken. Nur war seine Zunge dicker und ungeschickter als die eines Hundes. Er stieß mit der Zunge gegen den Grund der Pfütze und fühlte die harte, rauhe Erde.
    »Wasser.« Plötzlich konnte er das Wort sagen, leise, mit zitternden Lippen.
    Er schmiegte sich wieder an diese Pfütze.
    Und das Leben, das sich zuvor irgendwo im Innersten seines Körpers versteckt hatte, wurde mutiger, kam aus seinem Winkel heraus, lief durch Knochen und Adern, staunend, dass der Körper sich zu regen und zu erwärmen begann.
    [250] Der Regen prasselte heftig auf Otschakow herunter. Nächtliche Stille gab es keine mehr. Von überall ergossen sich rauschend die Wasserströme, hielten an, wo es keinen direkten Weg gab, sammelten Kraft und brachen weiter durch, abwärts.
    Als Igor ein wenig Luft geholt hatte, trank er noch ein paar Schlucke Regenwasser. Und irgendwann spürte er seine Finger, bewegte sie, stemmte sich mit den Händen gegen die Erde und setzte sich auf. In seinem Bauch brannte es immer noch, aber es war ein dumpfes, schwächeres Feuer.
    »Am Leben?«, flüsterte er, staunte und sah sich um. »Ich bin am Leben…«
    Er schaffte es, auf die Füße zu kommen.
    Gierig sog er die Luft ein und tat einen unsicheren Schritt auf das Haus zu, das er vor sich sah, von einer Lampe beleuchtet. Er ging bis ans Gartentor, schob es auf, sah zu den dunklen Fenstern des Hauses und trat gleich wieder einen Schritt zurück. Das Törchen fiel von selbst zu. Igor ging schwankend die Straße entlang und hielt sich die rechte Seite, die jetzt mehr weh tat als sein Bauch.
    Es regnete weiter, aber Igor spürte es nicht, spürte auch nicht mehr, dass seine Kleider so nass waren wie seine Haare und sein Gesicht.
    Von Zeit zu Zeit löste er den Blick vom Gehweg und sah sich um. Aus unbekannten Häusern und Zäunen waren bekannte, schon früher gesehene geworden. Am Gartentor, das zu Wanja Samochins Haus führte, hielt Igor. Er trat an das kleine Seitenfenster, während er im Mund schon wieder Durst fühlte. Er hob den Arm, der ihm plötzlich ungeheuer schwer vorkam, als hielte er ein Dreißig-Kilo-Gewicht, und klopfte ans Fenster.
    [251] »Oje, was haben Sie?«, rief Wanja erschrocken, als er den nassen, vor Kälte und Schwäche zitternden Igor in den Flur hereinließ.
    Igor tat ein paar Schritte und fiel um. Wasserspritzer flogen Wanja, der nur in lila Boxershorts dastand, an die nackten Beine. Alexandra Marinowna schaute im langen Nachthemd in den Flur und kam zu ihnen hergelaufen.
    »Ach, mein Gott!« Sie breitete die Arme aus. »Wie blau er ist!«
    Igor drehte den Kopf und sah mit schwächer werdendem Blick hoch zu den Menschen über ihm.
    »Gift«, flüsterte er. »Man hat mich vergiftet… mit Wodka…«
    Wanjas Mutter wurde geschäftig. »Zieh ihm alles aus! Schnell!«, befahl sie ihrem Sohn.
    Sie selbst hastete in die Küche, zündete das Gas an, setzte einen Topf Wasser auf. Holte aus einem Schränkchen ein Leinensäckchen mit Kräutern, öffnete es und roch daran. Dann nahm sie zwei Handvoll getrockneter Kräuter und warf sie in den Topf.
    »Ach Gott, nein, sowas, nein sowas«, murmelte sie und trieb das im Topf siedende Wasser zur Eile an.
    Als Alexandra Marinowna den Topf mit ihrem Sud ins Zimmer brachte, lag Igor schon auf dem Sofa, bis zum Kinn gut zugedeckt. Er war bewusstlos.
    »Bring mir die große Schüssel!«, wies die Mutter ihren Sohn an und stellte den dampfenden Topf auf das Schränkchen beim Sofa.
    Wanja holte erst die Schüssel und dann den Blechtrichter, den sie gewöhnlich für das Umfüllen ihres Weins in die Flaschen benutzten.
    [252] »Er ist so kalt!«, sagte Alexandra Marinowna besorgt, als sie Igor die Hand an die Stirn gelegt hatte. »Los, steck ihm den Trichter in den Mund.«
    Zweifelnd betrachtete Wanja den Trichter. »Das kocht doch!« Er deutete mit dem Kinn auf den Sud. »Vielleicht schütten wir kaltes Wasser dazu?«
    »Nein«, unterbrach ihn die Mutter. »Dann wirkt es nicht! Los, steck rein!«
    Wanja versuchte, den schmalen Hals des Trichters zwischen Igors Zähne zu schieben, aber es ging nicht.
    »Zieh mit den Fingern auseinander! Schnell!«,

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