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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ich dir geben.«
    »Wie viel?«
    Igor überschlug schnell, wie viele Hundertrubelscheine er jetzt in den Taschen hatte.
    »Zehntausend!«
    Fima fuhr überrascht zusammen. »Willst du mich verscheißern?«, fragte er feindselig.
    Schweigend zog Igor das unangebrochene Bündel Banknoten aus der linken Hosentasche und legte es auf den Tisch.
    Fima riss weit die Augen auf. Er erhob sich, kam zu Igor herüber, beugte sich über das Bündel, musterte es, hätte es fast beschnuppert, fasste es aber nicht an. Dann nahm er die [244] Flasche vom Tisch und goss noch einmal Selbstgebrannten in Igors Glas. »Wieder zu Ende!« Er grinste. »Brauchen wir eine neue!«
    Wieder verschwand er. Er kehrte mit einer vollen Flasche zurück, schenkte sich ein, setzte sich auf seinen Stuhl.
    »Sieht so aus, als werden wir uns einig«, sagte er und zog eine Grimasse, dass man seine schiefen Vorderzähne sah. »Trinken wir!«
    Sie leerten jeder noch ein Glas. Das Feuer, das Igors Kehle hinunterlief, strömte ihm diesmal bis in die Beine. Igor wurde es wärmer, und die Feuchtigkeit seiner Kleider spürte er nicht mehr.
    »Gut«, begann Fima wieder und kaute ein Stück Brot auf den Selbstgebrannten. »Ich gebe dir mein Diebesehrenwort, dass ich dieses Miststück nicht anrühre! Zufrieden?«
    Igor nickte. Sein vom Wodka schon schwankender Blick fiel wieder auf das kleine, aus Blechdosen gebastelte Auto.
    »Hast du das für deinen Kleinen gemacht?«, fragte Igor und wies in die Zimmerecke.
    Fima folgte dem Blick seines Gastes. Wieder verzogen seine Lippen sich zu diesem seltsamen Lächeln.
    Er nickte. »Ist bloß nicht meiner, ich hab keine eigenen…«
    »Heißt der Kleine zufällig Stepan?«
    Das Lächeln verschwand augenblicklich von Fimas Gesicht. Er war zusammengezuckt, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen.
    »Du bist doch nicht von der Miliz, wieso stellst du mir Fragen?!« Fima erhob sich und griff nach der Flasche, ließ sie aber gleich wieder los.
    Er setzte sich.
    [245] »Irgendwie habe ich schlechte Laune, verstehst du«, sagte er besänftigend. »Heute ist so ein Tag! Sanja von nebenan ist für nichts und wieder nichts umgebracht… Das Miststück Walja hab ich mit der Miliz am Strand gesehen… Oh, entschuldige… Das hab ich nur so…«
    In Fimas Stimme schwang wieder eine Drohung. Igor hörte sie, lauschte aber gleichzeitig nervös in seinen Körper hinein, der, wie es schien, nicht mehr gehorchen wollte. Die Hände waren gefühllos, die Beine bewegten sich auch nicht. Die Zehen spürte er nicht, und im Bauch entstand eine unangenehme Wärme, die sich fast sofort in ein Brennen verwandelte. Dieses Brennen stieg nach oben, zum Mund. Igor begann nach Luft zu schnappen und mit dem Blick nach Wasser zu suchen. Er musste Wasser trinken, einfaches Wasser.
    »Aha.« Fimas Gesicht war plötzlich völlig normal geworden, ohne Grimassen und ohne Lächeln. »So, mein Guter, Zeit für den Abschied… Du hast doch versprochen, dass ich dich nie mehr sehe! Niemand wird dich je mehr sehen!«
    Fima stand auf, kam langsam zu Igor, legte ihm die rechte Hand auf die Schulter und schubste ihn plötzlich heftig. Igor krachte vom Stuhl auf die Holzdielen und blieb liegen. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, nur die Augen sahen alles, und die Ohren füllten sich mit echten und irgendwelchen anderen Geräuschen. Aber vorerst war er noch imstande, die echten Geräusche von den anderen zu unterscheiden.
    »Keine Sorge«, sagte Fima, über ihm stehend. »Du quälst dich zwei, drei Stunden, und dann bist du weg! Du hast doch vor dem Tod keine Angst! Du hast doch auch eine Kanone!«
    Fima lachte laut und verschwand. Igor hörte, wie der [246] Haken an der Haustür klickte. Sie ging auf und wieder zu. Das Brennen war in seinem Mund angekommen. Das Atmen schmerzte. Er lag seitlich auf den Holzdielen und sah über sich den Tisch und die Lampe, die von der Decke hing. Die Lampe leuchtete schwach, aber in Igors Augen wurde es mit jeder Minute dunkler. Als würde jemand die Decke mit der Lampe immer höher in den Himmel heben, bis ihr Lichtpunkt sich in der Finsternis auflöste, die Igor einhüllte. Jetzt konnte er die Augen öffnen oder schließen. Es machte keinen Unterschied mehr.
    Das Leben, das zuvor Igors ganzen Körper erfüllt hatte, den Körper, der Hosen in Größe achtundvierzig und Stiefel in Größe zweiundvierzig trug, versteckte sich jetzt in einem geheimen Winkel, wo niemand von außen es hätte finden können. Der Körper lag reglos da, die

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