Der Gärtner von Otschakow
drängte ihn die Mutter, die mit dem Topf in der Hand neben ihm stand.
Mit aller Kraft drückte Wanja Igors Kiefer auf, schob den Trichter hinein und sah sich zu seiner Mutter um.
Alexandra Marinowna hob den Topf an den Trichter, und das dunkle Gebräu lief hinunter. Aus Igors Kehle stieg ein Krächzen, als würde dort dünnes Papier zerreißen. Seine rechte Hand regte sich, als versuchte er sie zu heben. Wanjas Mutter drückte die Hand mit ihrer Linken hinunter, ihre schwere Brust hing über Igors Kopf.
Das ganze Gebräu lief durch den Trichter in Igors Kehle. Sein Körper krümmte sich, ein Schauer überlief ihn. Alexandra Marinowna sprang vom Sofa zurück.
»Dreh ihn zu der Schüssel«, rief sie dem Sohn zu.
Wanja packte Igor und drehte ihn auf die Seite, schob seinen Kopf an den Sofarand und stellte die Schüssel darunter.
Wieder ertönte aus Igors Kehle ein Krächzen, das abgelöst wurde von heftigem Würgen. Ein nächster Schauer durchfuhr ihn. Er zog die Beine an, und gleich darauf brach aus seinem Mund eine dunkle flüssige Masse heraus.
[253] »Halte ihn, ich koche noch einen Sud!«, sagte die Mutter zu Wanja.
Bis zum Morgen schliefen Wanja und seine Mutter nicht mehr. Wanja hatte Igor inzwischen nackt ausgezogen. Nach drei Magenspülungen war Igors Stirn wärmer geworden. Alexandra Marinowna erhitzte das gusseiserne Bügeleisen auf dem Gasherd und machte sich daran, die Milizuniform trockenzubügeln. Aus der Tasche der Uniformhose zog sie ein Rubelpäckchen, erschrak, legte es auf den Tisch und besah das Geld minutenlang, ohne sich zu rühren. Der Schreck verging, je länger sie das Geld betrachtete, und an seine Stelle trat angenehme Beruhigung. ›Also wegen diesem Geld wollten sie ihn umbringen!‹, dachte sie. Sie trocknete und bügelte die Uniform, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie auf einen Hocker neben den schlafenden, bleichen Igor. Die Rubel, die Stiefel und den Gürtel mit dem Halfter legte sie auf den Boden daneben. Nur die getrockneten Socken nahm sie mit in ihr Zimmer. Sie knipste das Licht an, zog eine Socke über eine Glühbirne und begann, die löchrige Ferse zu stopfen.
Wanja beschloss nach einem Blick auf die Wanduhr, in der letzten Stunde bis zum Sonnenaufgang im Handbuch des Weinbereiters zu blättern, und kehrte in sein Zimmer zurück.
Igor wurde von einem heftigen Schmerz in seiner rechten Seite geweckt, oder genauer: zu Bewusstsein gebracht. Er hob den Kopf ein wenig, stemmte sich mit dem Ellbogen in die Matratze und fiel gleich wieder zurück, gefällt vom nächsten Schmerzanfall. Er lag reglos da und starrte an die Decke. In sein Gesichtsfeld geriet ein grüner Deckenleuchter. Igor [254] bewegte die Finger der rechten Hand, danach fasste er sich an die schmerzenden Rippen und erstarrte entsetzt – die Finger hatten etwas Klebriges berührt.
Ein Handyklingeln vertrieb die Stille. Igor neigte den Kopf, suchte mit dem Blick das Telefon, merkte, dass er in seinem Bett war, in seinem Zimmer im Haus in Irpen. Neben ihm auf dem Hocker lag die gebügelte, sorgsam gefaltete Milizuniform.
Er hatte Durst, und die scharfen Schmerzen im Bauch erinnerten ihn an die letzte Nacht.
»Mama!«, rief er und hörte seine eigene Stimme kaum, so schwach war sie.
Er blieb eine Weile liegen und atmete ruhig und gleichmäßig. Dann rief er noch einmal.
Die Tür ging auf.
»Du?« Die Mutter sah ihn erstaunt an. »Wo warst du? Gestern hat den ganzen Tag dein Handy geklingelt, bis ein Uhr nachts! Wo bist du…«
Plötzlich verstummte die Mutter und trat an sein Bett. »Was ist mit deinem Gesicht? Du bist ganz blau!« Sie legte Igor die Hand an die Stirn. »Du hast Fieber…«
»Ich habe mich vergiftet«, seufzte Igor.
»Mit Wodka?!« Die Mutter verzog das Gesicht.
Igor nickte und verzog auch das Gesicht. »Die Rippen tun mir weh, guck mal!« Er blickte an seiner rechten Seite hinab.
Elena Andrejewna hob die Decke hoch und schrie leise auf, Entsetzen im Blick.
»Du blutest ja! Ich hole den Arzt! Ich…« Sie sah sich hilfesuchend um. »Ich hole Stepan!…«
[255] Igors Mutter lief aus dem Zimmer. Igor hörte, wie im Flur die Haustür zufiel. Wieder versuchte er sich aufzurichten, und wieder sackte er zusammen. Er verlor das Bewusstsein.
Er lag so, ohne zu wissen, wie lange, bis er Stimmen hörte, die aus der Finsternis um ihn herum zu ihm drangen.
Jemand machte etwas mit seinem Körper. Und dieses Etwas erzeugte ein schmerzhaftes Echo in seinen Rippen.
»So was habe ich
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