Der Gamma-Stoff
regenbespritzter, zehn Jahre alter Wagen, das Fahrzeug eines Farmers. Als es den alten Mann erreichte, der auf der Straße dahintrottete, schien es zu zögern, dann hielt es.
Ohne Hast marschierte der alte Mann weiter, bis er zu dem Auto kam. Hinter dem Lenkrad saß ein älterer Farmer. Der alte Mann nickte kurz, als er einstieg.
»Kann mich nicht an Sie erinnern«, sagte der Farmer fröhlich. »Sind Sie neu hier oder nur auf der Durchreise?«
»Durchreise«, erklärte der alte Mann mit brüchiger Stimme.
»Heutzutage sind viele Leute unterwegs«, meinte der Farmer. »Alte Männer wie Sie zum Teil. Die Hydroponik hat sie fertiggemacht und jetzt, diese neuen Fischereibetriebe, die Meeresfarmen, wie sie heißen – man braucht nur ein paar Jahre zu warten, dann kann man kaum noch seine Arztrechnungen bezahlen. Woher sind Sie gleich wieder?«
»Ich habe nichts gesagt.«
Der Farmer hob die Schultern und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
Zehn Minuten später kam der Ford an derselben Stelle vorbei, diesmal in entgegengesetzter Richtung. An einer Straßeneinmündung bog er nach links ein und hielt. Der Farmer war verschwunden. Am Steuer saß der alte Mann.
Ein Mädchen mit so blondem Haar, daß es beinahe farblos wirkte, kam hinter einer Baumgruppe hervor und rannte zum Wagen. Bevor sie die Wagentür ganz geschlossen hatte, schoß das Fahrzeug davon. Als sie sich dem alten Mann zuwandte, zeigte der Tachometer auf zweihundert Stundenkilometer.
»Warum hast du den Plan geändert?« fragte Barbara. »Wir haben ausgemacht, daß ich eine Stunde warte und mich dann von einem Auto mitnehmen lasse, damit wir uns in Joplin treffen könnten.«
»Das wäre das klügste gewesen«, meinte Sibert, »aber ich habe es nicht fertiggebracht. Ich könnte dich nicht so weit von mir weglassen.«
Er betrachtete sein Gesicht im Rückspiegel und nickte. Der Bart und die Schuhschwärze hatten sein Gesicht radikal verändert. Durch die überstandene Krankheit wirkte es ausgemergelt. Er sah tatsächlich alt aus. Geschult durch seine Ausbildung, ging und sprach er wie ein alter Mann. Er kam sich beinahe alt vor.
»Was hast du mit dem Farmer gemacht?«
Sibert warf ihr einen Blick zu. Mit noch geringeren Mitteln hatte sie ihr Aussehen verändern können. Es war erstaunlich, was mit Wasserstoffsuperoxyd zu erreichen war. Das blonde Haar veränderte ihr ganzes Gesicht. Der Kontrast mit ihren dunklen Augen war erstaunlich. Sibert fühlte, wie sein Herz schneller schlug.
»Ich habe ihn niedergeschlagen und ins Unterholz gelegt. Es ist ihm nichts Ernsthaftes passiert. Er wird zu sich kommen und Hilfe holen.«
»Wenn wir sowieso miteinander fahren, hätten wir genausogut den Cadillac nehmen können.«
»Man ist uns inzwischen längst auf die Spur gekommen, und der Wagen ist mit einem Hubschrauber schon von weitem auszumachen. In diesem Stadium der Jagd wird das Gebiet sektorenweise abgesperrt. Solange wir uns nicht vom Fleck gerührt haben, waren wir sicher, aber jetzt erregen wir Aufmerksamkeit und müssen damit rechnen, daß man uns entdeckt.«
Barbara starrte auf ihre Hände hinunter.
»Ich mag das nicht, dieses Schießen und Stehlen und Schlagen …!«
»Babs!« sagte Sibert scharf. »Schau mich an.« Er hielt ihren Blick fest. »Wem gefällt das schon? Aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Es liegt an der Zeit, in der wir leben. Es liegt an dir. Du ziehst die Gewalttat an. Du bist die Prinzessin, vergiß das nicht, die Erbin des größten Vermögens auf der Erde – des ewigen Lebens. Wohin du auch gehst, werden Menschen deinetwegen kämpfen, lügen und töten.«
»Ich habe das Erbe nicht gewollt.«
»Du hast es als Geschenk bekommen. Wie wir den Tod geerbt haben. Es gibt nichts, was du tun könntest, nichts läßt sich mehr ändern.«
Dann blieb es still.
Als sie Joplin erreichten, setzte Sibert die Geschwindigkeit herab.
»Es fällt mir furchtbar schwer, aber wir haben nur eine Chance, wenn wir uns trennen. Sie suchen nach zwei Personen, die gemeinsam reisen; wahrscheinlich wissen sie auch schon, daß die Flüchtigen ein Mann und eine Frau sind. Steig hier aus, nimm ein Taxi zum Flughafen und flieg mit der ersten Maschine nach Washington –«
»Warum nach Washington?« fragte sie.
»Ich habe jetzt keine Zeit, dir das zu erklären. Du mußt mir vertrauen. Ich werde versuchen, dieselbe Maschine zu erreichen. Du mußt so tun, als hättest du mich noch nie gesehen. Gleichgültig, ob ich in der Maschine bin oder
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