Der Gamma-Stoff
nicht, nimm im Flughafen-Motel in Washington ein Zimmer unter demselben Namen, den du beim Kauf der Flugkarte benützt – sagen wir: Maria Cassatta. Du kannst dich als Italienerin ausgeben. Wenn ich binnen vierundzwanzig Stunden nicht auftauche, kannst du mich vergessen. Dann bist du auf dich selbst gestellt.«
Stumm stieg sie aus und der Wagen fuhr davon. Sibert sah sich nicht um.
Der alte Mann wankte, so schnell es seine gebrechlichen Beine erlaubten, auf das ungeduldig wartende Flugzeug zu. Als er an Bord war, rollte die Düsenmaschine zur Startbahn. Zwei Minuten später schwebte sie in der Luft.
Sibert sah sich von seinem Sitz aus mit der Neugier des Alters um. Als er weiter rückwärts Barbara entdeckte, unterdrückte er einen Seufzer der Erleichterung. Ihr Blick begegnete dem seinen ohne Ausdruck, dann wandte sie sich wieder ihrer Zeitung zu.
Während des ganzen Fluges blickte Sibert nicht mehr nach hinten – sie konnte ja nicht aussteigen.
Obwohl im Flughafen von Joplin niemand aufgefallen war, stand für ihn fest, daß man sie beschattet hatte. Als er in Washington aus dem Flugzeug stieg, gelang es ihm ebensowenig, Beauftragte des Instituts zu entdecken.
Er ließ sich mit einem Seufzer auf eine Bank sinken, von der aus er sowohl das Anmeldebüro des Motels wie auch den Wartesaal des Flughafens beobachten konnte. Er sah, wie Barbara ein Zimmer mietete und zu einem der kleinen Bungalows geführt wurde.
Nach einer halben Stunde hatte Sibert immer noch keinen Verfolger ausmachen können.
Er schlürfte zur Bungalowtür und klopfte. Barbara ließ ihn stumm ein. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, richtete er sich auf und umarmte sie.
»Wir haben es geschafft«, sagte er begeistert.
»Wirklich?« sagte sie tonlos.
»Selbstverständlich. Was ist denn mit dir?«
Sie schob ihn weg und nahm eine Zeitung vom Tisch. Sie hatte sie noch in Joplin gekauft. Die Schlagzeile lautete:
› Mord an einem Farmer
Leiche neben der alten Autostraße gefunden‹
»Du hast mich angelogen«, sagte sie.
Er nickte, beobachtete ihr Gesicht, versuchte, die Motive ihrer Enttäuschung auszuloten.
»Warum hast du ihn umgebracht?«
»Zur Sicherheit. Ich habe dir gesagt, wie es sein wird. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, daß er Alarm schlägt, bevor wir verschwunden waren.«
»Ja, das hast du mir gesagt.«
»Was ich getan habe, geschah für dich.«
»Wirklich?« Sie schloß die Augen, öffnete sie langsam. »Du hast recht. Sag mir – ich möchte es jetzt wissen –, warum wir nach Washington gekommen sind?«
Sibert hob hilflos die Schultern. »Ein wilder Einfall, eine Ahnung, Intuition. Ich habe versucht, mich an Cartwrights Stelle zu versetzen. Er konnte seine Kinder nicht beobachten lassen, er durfte sich nicht einmal mit ihnen in Verbindung setzen oder sie wissen lassen, was sie in Wirklichkeit waren. Alles Ungewöhnliche würde sich in den Registraturen oder Datenrechnern des Instituts niederschlagen und die Aufmerksamkeit gerade auf jene Personen lenken, die Cartwright zu decken versuchte.«
»Was hat das mit Washington zu tun?«
»Cartwrights Problem war demnach mit dem des Instituts identisch: seine Kinder zu finden, die über die ganzen Vereinigten Staaten verstreut waren. Er mußte sein Hauptquartier dort aufschlagen, von wo aus er Ereignissen von überregionaler Bedeutung auf der Spur bleiben konnte: also nur in Washington. Aber er verfügt über keine Organisation; der Versuch, derartiges auch nur aufzubauen, hätte das Institut hellhörig gemacht. Es gab nur wenige Menschen, denen er vertrauen konnte. Vielleicht eine Person, ganz bestimmt nicht mehr als zwei. Wo konnte er einen Mann hinstellen, um zu erreichen, was nötig war? Es gibt nur eine Stelle, wo ein einzelner nützlich sein könnte: im Institut selbst. Solange das Institut keines von Cartwrights Kindern findet, sind sie relativ sicher. Aber sobald das Institut Erfolg hat – kann Cartwrights Beauftragter eingreifen.«
Barbara nickte. »Klingt logisch. Was wirst du tun?«
»Mich mit dem Beauftragten in Verbindung setzen – wer immer es auch sein mag. Ich werde ihn aus seiner Reserve herauslocken, und du bist der Lockvogel. Ich melde mich wie versprochen beim Institut und biete an, dich zu verkaufen – für einen gewissen Preis. Der Beauftragte wird davon hören; er muß sich in einer Position befinden, wo er alles erfährt, und er wird sich mit mir in Verbindung setzen.
Paß auf: sobald ich weg bin, ziehst du aus.
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