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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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In der Sonne mußten sie von der Farbe wilder Hyazinthen sein.
    »Tochter?«
    »Nicht verwandt.«
    »Was tun Sie hier?«
    »Er ist krank«, sagte sie schlicht.
    Flowers studierte ihr Gesicht. Es verriet ihm nichts.
    Er setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett und schloß seine schwarze Tasche auf. Mit geübten Händen holte er eine Anzahl Instrumente mit Anschlußkabeln heraus. Eine kleine Elektrode wurde über dem Herzen des alten Mannes befestigt, eine andere an seinem Handgelenk, eine dritte in der Handfläche. Er wickelte ein Blutdruckmeßband um den Bizeps und sah, wie es sich spannte, schob ein Mundstück zwischen die blassen Lippen, setzte dem Kranken eine Art Käppchen auf.
    Shoemaker wurde zu einer im Netz gefangenen Fliege, die schwache Impulse an die in der Tasche lauernde Spinne übertrug. Diese Spinne war jedoch durch unsichtbare Fäden mit der Ambulanz vor dem Haus verbunden, und gemeinsam würden sie Leben in die Fliege zurückpumpen, statt es abzusaugen.
    Es dauerte eine Minute und dreiundzwanzig Sekunden. Dann fiel Flowers der Heftpflasterstreifen am Unterarm des Patienten auf. Er runzelte die Stirn und riß ihn ab. Darunter befand sich eine glutgetränkte Kompresse, und ein kleiner Schlitz in der Vene.
    »Wer ist hiergewesen, seit der Mann krank wurde?«
    »Ich«, erklärte das Mädchen mit klarer Stimme. Eine Hand ruhte leicht auf der Kiste.
    Unter dem Kopfteil des Bettes stand ein Glaskrug, der etwa einen halben Liter Blut enthielt; es war im Gerinnen, fühlte sich aber noch warm an.
    »Warum haben Sie einen Aderlaß vorgenommen?«
    »Es gab keine andere Möglichkeit, ihm das Leben zu retten«, sagte sie leise.
    »Wir sind nicht mehr im Mittelalter«, erklärte Flowers. »Sie hätten ihn umbringen können.«
    »Sie haben Ihren Lehrern nicht zugehört«, erwiderte sie. »In manchen Fällen nützt ein Aderlaß, wenn nichts anderes mehr helfen kann – bei Gehirnblutungen zum Beispiel. Vorübergehend fällt der Blutdruck, so daß das Blut in dem geplatzten Gefäß Gelegenheit hat, zu gerinnen.«
    Unwillkürlich schaute Flowers in seine Tasche. Vom Boden war die Diagnose abzulesen. Eine Gehirnblutung, ohne Zweifel, und die Prognose war gut. Die Blutung hatte aufgehört.
    Er nahm eine Kompresse aus der Tasche, zog an dem Etikett und sah, wie sich die Verpackung auflöste. Er drückte die Kompresse fest auf die Schnittwunde. Sie blieb automatisch an der Haut haften.
    »Es ist verboten, ohne Lizenz zu praktizieren«, sagte er langsam. »Ich muß das melden.«
    »Hätte ich ihn sterben lassen sollen?«
    »Es gibt Ärzte.«
    »Er hatte einen gerufen. Sie haben eineinhalb Stunden gebraucht. Wenn ich abgewartet hätte, wäre er gestorben.«
    »Ich bin gefahren, so schnell ich konnte. Bei Nacht läßt sich so ein Haus schwer finden.«
    »Ich kritisiere nicht.« Sie streckte die Hand nach hinten, bis sie den Stuhl ertastete, dann setzte sie sich und faltete die weißen Hände im Schoß.
    »Sie haben mich gefragt, warum ich ihn zur Ader gelassen habe. Ich habe es Ihnen erklärt.«
    Flowers schwieg. Gegen ihre Logik ließ sich nichts sagen, und doch war sie im Unrecht. Es gab keine vernünftige Entschuldigung für die Übertretung der gesetzlichen Vorschrift. Die Ausübung der Medizin mußte das Monopol von Männern sein, die vorsichtig waren, die entsprechende Ausbildung hatten und in der alten Ethik geschult waren. Niemand sonst durfte sich an das Heiligste heranwagen, das es auf der Welt gab.
    »Sie hatten Glück«, sagte er. »Sie hätten sich irren können.«
    »Der Tod ist nicht graduell.«
    »Wahrscheinlich wird er sowieso sterben.«
    Sie stand auf und ging zu ihm, legte eine Hand auf seine Schulter und berührte Shoemakers Stirn.
    »Nein«, sagte sie mit merkwürdiger Sicherheit, »er wird gesund werden. Er ist ein guter Mann. Wir dürfen ihn nicht sterben lassen.«
    Die Nähe des Mädchens erregte ihn. Flowers fühlte, wie sein Blutdruck anstieg. Warum nicht? dachte er. Sie ist nur eine Stadtbewohnerin. Aber er brachte es nicht über sich, und es lag nicht nur daran, daß er an die Ehre des Arztstands dachte oder an die Tatsache, daß sie blind war.
    Er bewegte sich nicht, aber sie wich zurück und nahm ihre Hand fort, als sie spürte, welche Gefühle ihn bewegten.
    »Ich muß ihn ins Hospital schaffen«, sagte Flowers. »Wir müssen mit einer Infektion rechnen.«
    »Ich habe den Arm mit Seife und dann mit Alkohol gereinigt«, erklärte sie. »Ich habe das Messer in der Flamme sterilisiert und eine

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