Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
Vom Netzwerk:
Bandage über dem Lampenzylinder angesengt.«
    Ihre Finger wiesen Brandwunden auf.
    »Sie haben Glück gehabt«, sagte er kalt. »Beim nächstenmal wird jemand sterben.«
    Sie wandte sich seiner Stimme zu. Flowers empfand die Bewegung als seltsam rührend.
    »Was soll man tun, wenn man gebraucht wird?«
    Die Ähnlichkeit mit der Reaktion eines Arztes auf das Flehen der Welt um Hilfe war zu groß. Ein Arzt hatte das Recht, auf dieses Flehen zu reagieren – sie nicht. Er wandte sich Shoemaker wieder zu, nahm die Instrumente ab und verstaute sie wieder in der Tasche.
    »Ich muß ihn zum Krankenwagen hinuntertragen. Können Sie die Tasche nehmen, damit ich Licht habe?«
    »Sie dürfen ihn nicht mitnehmen. Er hat keine Zahlungen für seinen Kontrakt mehr geleistet. Sie wissen, was man mit ihm tun wird.«
    Flowers richtete sich auf. »Wenn er insolvent ist …«
    »Was würden Sie tun?« fragte sie leise. »Wenn Sie im Sterben lägen und allein wären, würden Sie nicht um Hilfe rufen? Würden Sie zuerst juristische Probleme wälzen? Er hatte einmal einen Kontrakt, aber die Zahlungen haben ihn ruiniert, haben ihn sein Heim auf dem Land gekostet und hierher getrieben. Aber als er krank wurde, kehrte er zu seinem alten Glauben zurück, wie ein sterbender Katholik nach seinem Priester ruft.«
    Flowers erschrak vor dem Vergleich.
    »Und er hat mehrere Menschen um lebenswichtiges, dem Gesetz entsprechendes Eingreifen betrogen. Es spricht einiges dafür, daß er sein Leben auf Kosten eines anderen Menschen gerettet hat; deshalb wurden die Gesetze erlassen. Diejenigen, die ihre ärztliche Behandlung bezahlen, sollten nicht von denjenigen bestraft werden können, die dazu nicht in der Lage sind oder – was häufiger ist – nicht zahlen wollen. Wenn Shoemaker nicht zahlen kann, muß er einen anderen Beitrag leisten.«
    Er bückte sich über den alten Mann.
    Sie zog ihn mit erstaunlicher Kraft zurück und stellte sich zwischen ihn und den Kranken.
    »Ihr habt doch sicher genug Blut, genug Organe. Sie werden ihn umbringen.«
    »Es gibt nie genug«, sagte Flowers. »Und wir brauchen ja auch Material für die Forschung.« Er legte ihr ungeduldig die Hand auf die Schulter, um sie wegzuschieben. Unter dem Stoff fühlte sich ihr Körper warm und weich an.
    »Sie müssen zu den Antivivisektionisten gehören.«
    »Allerdings, aber das ist nur ein Grund. Ich bitte für ihn, weil er es wert ist, gerettet zu werden. Sind Sie so hart, so vollkommen, daß Sie nicht – vergessen können?«
    Er starrte einen Augenblick auf seine Hand und ließ sie sinken. Er lehnte es ab, mit dem Mädchen um den Körper dieses Mannes zu kämpfen.
    »Gut«, sagte er.
    Er hob die schwarze Tasche auf und ging zur Tür.
    »Warten Sie!« sagte sie.
    Er schaute sich nach ihr um, als sie blindlings auf ihn zutrat, die Hand ausgestreckt, bis ihre Finger seinen Ärmel berührten.
    »Ich möchte Ihnen danken«, sagte sie sanft. »Ich habe gedacht, daß es bei den Ärzten keine Barmherzigkeit mehr gibt.«
    Einen Augenblick lang krampfte sich sein Magen zusammen, dann brach sich der Zorn Bahn.
    »Mißverstehen Sie mich nicht«, sagte er brutal und schüttelte ihre Hand ab. »Ich werde ihn anzeigen und Sie auch. Das ist meine Pflicht.«
    Sie ließ die Hand sinken, gleichsam um Verzeihung bittend für ihren Irrtum, vielleicht auch für die Natur der Menschen.
    »Wir tun, was wir müssen.«
    Sie ging an ihm vorbei, schob den Riegel zurück und wandte sich ihm zu.
    »Ich glaube nicht, daß Sie so hart sind, wie Sie tun.«
    Das traf ihn. Er war nicht hart. Er ärgerte sich über die Behauptung, daß die Ärzte kein Verständnis besaßen, daß ihnen das Mitgefühl fehlte.
    Jene, die inmitten von Krankheit und Tod zu leben hatten, von deren Geschicklichkeit und Urteilsfähigkeit, Gesundheit und Leben und ihr Begleiter, das Glück abhingen, durften sich nicht von der Tragik, von den menschlichen Gesichtspunkten, berühren lassen. Das wäre unerträglich.
    »Unten liegt ein alter Mann, der Hilfe braucht«, meinte sie zögernd. »Würden Sie ihn sich ansehen?«
    »Ausgeschlossen«, erwiderte er scharf.
    Sie hob für einen Augenblick den Kopf. Das ist der Stolz, dachte er.
    Dann nickte sie. »Verzeihung«, sagte sie leise.
    Licht zu machen sei gefährlich, meinte sie und bot ihm an, ihn zu führen. Ihre Hand war warm, fest und zuversichtlich. Auf dem Weg nach unten erreichten sie einen Treppenabsatz, wo sich im Dunkeln eine Tür öffnete.
    Flowers riß seine Hand los und steckte sie

Weitere Kostenlose Bücher