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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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bauen. Wie sollen wir sie ernähren? Wie sollen wir sie festhalten, wenn sie nicht bleiben wollen?«
    »Das ist Ihr Problem, Sergeant. Solche Kerle wie der würgen die Medizin ab. Wenn Medikamente und Antibiotika ohne Überwachung zirkulieren, wird die durchschnittliche Lebenserwartung auf siebzig oder noch niedriger sinken. Wir haben schon Schwierigkeiten genug mit den neuen Bakterienkulturen.«
    Flowers starrte wieder auf den Händler hinunter. Der setzte sich auf und schaute sich verständnislos um. Er rieb sich das Genick und starrte seine Hand an.
    »Ich bin nicht tot«, sagte er.
    »Meine Aufgabe ist, Leben zu bewahren, nicht, Leben zu vernichten«, sagte Flowers rauh.
    Der Händler sah auf und fauchte: »Sie! Sie lausiger Filzer! Quacksalber! Das werden Sie teuer bezahlen! John Bone macht Sie fertig, Sie Metzger!«
    »Schluß jetzt!« fuhr der Sergeant dazwischen und zerrte den anderen hoch. »Sie sind jetzt ruhig.«
    Aber er ging erstaunlich sanft mit dem anderen um. Flowers verzog den Mund.
    Der Händler überschrie das gedämpfte Brummen der Hubschrauberrotoren: »Sie und Ihre Sorte – ihr seid für alles verantwortlich!«
     
2.
     
    Der Scheinwerferstrahl glitt über das Verandadach und ließ zwei verrostete Nummernschilder hervortreten. Zum Glück waren es die letzten zwei.
    Das Haus stand neben einem unbebauten Grundstück, auf dem Rohrleitungen und Maschinen verrotteten. Früher einmal war der Hof gepflastert gewesen. Jetzt rollte Flowers’ Ambulanz über pulverisierten Kies dahin.
    Er schaltete das Licht ab und betrachtete das Haus. Es war zweistöckig, wenn man den Speicher mitrechnete. Eine baufällige Veranda verlief quer über die Frontseite. Die Fenster starrten dunkel und blind in die Nacht.
    Hatte sich der Oberarzt geirrt? Das wäre wieder einmal typisch. Dann sah er hinter dem linken Fenster im ersten Stockwerk ein Flackern.
    Vorsichtig stieg Flowers die verfaulenden Holzstufen hinauf. Das Licht der in die schwarze Tasche eingebauten Lampe erhellte die alte Tür. Flowers klopfte. Nichts rührte sich. Das einzige Geräusch war das tröstliche Vibrieren des Ambulanzmotors.
    Er drückte auf die Messingklinke. Die Tür ging auf. Er zog die Nadelpistole und trat vorsichtig ein. Zur Rechten war ein Durchgang mit vom Holzwurm zerfressenen Brettern vernagelt. Vor sich sah er eine Treppe.
    Er stieg lautlos hinauf, und das Licht spiegelte sich auf handgeschnitzten Geländerstäben, von Generationen kleiner Hände glattpoliert. Wenn er sich einmal ein eigenes Haus auf dem Land leisten konnte, wollte er auch dergleichen haben – alte Sachen, in denen die Vergangenheit wohnte.
    Oben sah er sich mehreren Türen gegenüber. Flowers wandte sich nach rechts. Die Tür, deren Klinke er drückte, war verschlossen.
    Unsicher lauschte er den Geräuschen des Hauses. Es knarrte und ächzte und flüsterte, als sei es im Lauf der Jahrhunderte lebendig geworden.
    Die Tür öffnete sich.
    Das Licht von der schwarzen Tasche badete das Mädchen wie in Quecksilber. Es starrte, ohne zu blinzeln, in die Lampe. Flowers riß die Augen auf. Sie war ungefähr eins sechzig groß. Ihr dunkles Haar mußte sehr lang sein, dachte er, denn es war geflochten und wie eine Krone um ihren Kopf gewunden.
    Sie hatte ein zartes, schmales Gesicht mit strahlend weißer Haut; ihre Züge waren regelmäßig. Sie trug ein gelbes, fließendes Kleid mit Gürtel. Es wirkte unpraktisch und wenig schmeichelnd; es hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den engen, glatten Sachen, die man heutzutage trug. Aber die Andeutung ihres Körpers unter dem Stoff und die nackten, weißen Füße ließen sein Herz schneller schlagen.
    Erst dann entdeckte er, daß sie blind war. Die Hornhaut der Augen war undurchsichtig und ließ das helle Blau der Iris dunkler erscheinen.
    »Sind Sie der Arzt?« fragte sie leise und sanft.
    »Ja.«
    »Kommen Sie herein, bevor unsere Untermieter wach werden. Sie könnten gefährlich sein.«
    Während das Mädchen die Tür hinter ihm verriegelte, sah sich Flowers in dem verhältnismäßig großen Raum um. Es war einmal ein Schlafzimmer gewesen und diente jetzt als Einzimmerwohnung. Das Mobiliar bestand aus zwei Stühlen, einem Gasofen, einer Kiste, die als Tisch und Untersatz für eine rauchende Petroleumlampe diente und einem Holzbett.
    Auf dem Bett lag ein etwa sechzigjähriger Mann. Er hatte die Augen geschlossen und atmete keuchend.
    »Philip Shoemaker?« fragte Flowers.
    »Ja«, sagte das Mädchen.
    Wieder fielen ihm ihre Augen auf.

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