Der Gang vor die Hunde (German Edition)
mochte, einen Schulranzen trug und ärmlich angezogen war. Das Kind zitterte am ganzen Körper und blickte entsetzt in die bösen, aufgeregten Gesichter der Erwachsenen ringsum.
Der Abteilungschef kam. »Was ist los?«
»Ich habe das freche Ding erwischt, wie es einen Aschenbecher stahl«, erklärte eine alte Jungfer. »Hier!« Sie hob eine kleine bunte Schale hoch und zeigte sie dem Vorgesetzten.
»Marsch zum Direktor!« kommandierte der Cutaway.
»Jugend von heute«, sagte eine aufgetakelte Gans.
»Marsch zum Direktor!« rief eine der Verkäuferinnen und packte die Kleine an der Schulter. Das Kind weinte sehr.
Fabian schob sich durch die Versammlung. »Lassen Sie auf der Stelle das Kind los!«
»Erlauben Sie mal«, meinte der Abteilungsleiter.
»Was fällt Ihnen ein, sich einzumischen?« fragte jemand. Fabian gab der Verkäuferin einen Klaps auf die Finger, daß sie das Kind losließ, dann zog er das kleine Mädchen an seine Seite. »Warum hast du denn ausgerechnet einen Aschenbecher weggenommen?« fragte er. »Rauchst du schon Zigarren?«
»Ich hatte kein Geld«, sagte das Mädchen. Dann hob es sich auf die Zehenspitzen. »Mein Papa hat heute Geburtstag.«
»Einfach stehlen, weil man kein Geld hat, es wird immer schöner«, bemerkte die aufgetakelte Gans.
»Schreiben Sie uns einen Kassenzettel aus«, sagte Fabian zu der Verkäuferin. »Wir behalten den Aschenbecher.«
»Das Kind verdient aber Strafe«, behauptete der Abteilungsleiter. Fabian trat auf den Mann zu. »Wenn Sie sich meinem Vorschlag widersetzen sollten, schmeiße ich Ihnen den ganzen Porzellanladen kaputt.«
Der Cutaway zuckte mit den Schultern, die Verkäuferin schrieb einen Zettel aus und brachte den Aschenbecher zur Auslieferung. Fabian ging zur Kasse, zahlte und nahm das Päckchen in Empfang. Dann begleitete er das Kind bis zum Ausgang. »Hier hast du deinen Aschenbecher«, sagte er. »Aber paß gut auf, daß er nicht entzweigeht. Es war einmal ein kleiner Junge, der kaufte einen großen Kochtopf, um ihn seiner Mutter am Heiligen Abend zu schenken. Als es soweit war, nahm er den Topf in die Hand und segelte durch die halb offene Tür. Der Christbaum schimmerte großartig. Da, Mutter, da hast du …, sagte er und wollte sagen: Da hast du den Topf. Es gab aber einen Krach, der Topf zerbrach an der Tür. Da, Mutter, da hast du den Henkel, sagte der Junge nun, denn er hatte nur noch den Henkel in der Hand.«
Das kleine Mädchen sah zu ihm auf, hielt das Paket mit beiden Händen fest und meinte: »Mein Aschenbecher hat ja gar keinen Henkel.« Sie knickste und lief fort. Dann drehte sie sich noch einmal um, rief: »Danke schön!« und verschwand.
Fabian trat auf die Straße. Es regnete nicht mehr. Er stellte sich an die Bordschwelle und sah den Autos zu. Ein Wagen hielt. Eine alte Dame, mit Paketen behangen, schob sich schwerfällig vom Sitz und wollte aussteigen. Fabian öffnete den Wagenschlag, half der Dame vom Trittbrett, zog höflich den Hut und trat zur Seite.
»Da!« sagte jemand neben ihm. Es war die alte Dame. Sie drückte ihm etwas in die Hand, nickte und ging ins Kaufhaus. Fabian machte die Hand auf. Er hielt einen Groschen. Er hatte unfreiwillig einen Groschen verdient. Sah er bereits wie ein Bettler aus?
Er steckte die Münze ein, trat trotzig an den Straßenrand und öffnete einen zweiten Wagen. »Da!« sagte jemand und gab ihm wieder einen Groschen. Das wächst sich zu einem Beruf aus, dachte Fabian und hatte eine Viertelstunde später fünfundsechzig Pfennige verdient. Wenn jetzt Labude vorbeikäme und den literarhistorisch vorgebildeten Autoöffner sähe, überlegte er. Aber der Gedanke erschreckte ihn nicht. Nur der Mutter hätte er nicht begegnen mögen und auch Cornelia nicht.
»Eine milde Gabe gefällig?« fragte eine Frau und gab ihm ein größeres Geldstück. Es war Frau Irene Moll. »Ich habe dich lange Zeit beobachtet, mein Junge«, sagte sie und lächelte schadenfroh. »Wir begegnen einander, wo wir können. Geht’s dir so dreckig? Du warst voreilig, als du das Angebot meines Mannes ablehntest, und auch die Schlüssel hättest du behalten können. Ich wartete darauf, dich in meinem Bett wiederzusehen. Deine Zurückhaltung macht sinnlich. Hier, hilf mir die Pakete tragen. Das Trinkgeld hast du schon.«
Fabian ließ sich die Pakete aufladen und folgte schweigsam.
»Was kann ich für dich tun?« fragte sie nachdenklich. »Stellung eingebüßt, was? Ich bin nicht nachtragend. Auf Moll ist leider nicht mehr zu
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