Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
Bedeutung für ihn selbst. Aus dem Wunsch heraus, in ihren Köpfen zu detonieren, hatte er sich stattdessen hinter einem durchsichtigen Explosionsschild versteckt, war zu Schlacke zerschmolzen und hatte sie unberührt gelassen: Wenn er die Neutronenbombe war, waren sie die Gebäude. Cicero hätte sich genausogut die Kleider aufreißen und Bauch und Schwanz präsentieren können. Rat mal, womit Lookins uns heute geschlaucht hat. Ich fass es nicht, dass ich mir dafür den Wecker gestellt hab.
    »Kann ich dich zum Frühstück einladen?«
    Jetzt riss der unbenannte Kontext des Morgens den Rachen auf. Rose hatte Cicero befohlen, Sergius etwas beizubringen. Na, wenigstens hatte er ihn in die Uni geschleift. Zahllose sardonische Erwiderungen drängten sich auf, aber Cicero hatte seine Galle erst einmal verspritzt, und ihm fehlte der Schwung, eine auszusuchen und anzubringen. Er wollte frühstücken, selbst wenn Sergius dabeisein musste. Der Kaffee hatte seine Adern literweise aufgepeitscht, schwappte jetzt aber kalt im Magen.
    »Schaffst du’s dann noch rechtzeitig zum Flugzeug?«
    »Klar.«
    Alarmstufe Gelb. Zum Portland Jetport fuhr man drei Stunden, und Sergius musste noch seinen Mietwagen zurückgeben. Cicero brauchte dringend sein Frühstück, aber er wollte diesen Hilfsjesus auch aus der Stadt und aus dem Land haben.
    Er musste Sergius allerdings zugutehalten, dass er den forschenden Unterton von Ciceros Schweigen mitbekommen hatte. »Ich hab auf einen späteren Flug umgebucht – am späten Nachmittag, mein ich. Nachdem ich deinen Zettel gelesen hab.«
    Wieder Ciceros Fehler, Sergius ins Seminar zitiert zu haben. Oder Roses Fehler. »Alles klar«, sagte er. »Gehen wir frühstücken.«
    »Magst du das Lyrical Ballad? Da können wir zu Fuß hingehen.«
    Noch eine hochgezogene Augenbraue. »Woher kennst du denn das Lyrical Ballad?« Die kleine Patisserie war eine Art Geheimtipp der Professoren und lag hinter Cumbows einzigem Antiquariat versteckt. Ein besserer Abwehrzauber sowohl gegen die Kleinstadtzombies als auch die Studenten des 21. Jahrhunderts ließ sich kaum denken.
    »Ich hab gestern Abend wen kennengelernt. Sie hat das erwähnt.«
    »Hast du im Poseidon’s Net die Szene gecheckt?«
    Sergius schüttelte den Kopf. »Nee, ich hab sie woanders getroffen. Komm, ich stell euch vor.«
    Sie überquerten den Parkplatz, gingen an Ciceros Wagen vorbei, und Sergius wirkte übertrieben stolz darauf, dass er ein bisschen Flaneurswissen über den Campus erworben hatte und sich in den paar Seitenstraßen und Gassen von Cumbows winziger Innenstadt zurechtfand. Damit, und weil er diese rätselhafte Freundin kennengelernt hatte, erinnerte Miriams Sohn Cicero erstmals wenigstens ein bisschen an seine Mutter, die Kennerin der MacDougal Street. Er spürte einen Anflug von Panik, als hätte er einen nie wiedergutzumachenden Fehler begangen, als er Sergius am Vorabend von der Leine gelassen hatte. Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide.
    Nie im Leben wäre Cicero in seinem Schreck aber auf das Ziel gekommen, das sie ansteuerten. Occupy Cumbow, wenn man das so nennen konnte. Auf dem fachmännisch gepflegten Rasen vor dem Rathauswaren drei kleine Zelte aufgestellt worden, auf einem Kartentisch lagen Flugblätter und eine Schachtel von Dunkin’ Donuts, ein paar Transparente prangerten den Etat des Pentagon und die staatlichen Rettungspakete für die Türme des Mammons an. Insofern das Lager von einer flüchtigen Kuriosität zu einem etablierten Nichts geworden war, um das man auf Samtpfoten herumschlich, war Cicero sicher, dass seine schlechte Meinung darüber allgemeingültig war.
    An einem klaren Morgen wie diesem stand eine wechselnde Besetzung von drei bis vier Pensionären mit gestutzten weißen Bärten und Fleecejacken vor dem kleinen Freilufttheater, alte Linke, die sonst zu Hause gesessen und Leserbriefe an die Times aufgesetzt hätten, die nie gedruckt worden wären. Die echten Zeltbewohner waren dagegen jüngere, angeschmuddelte Trampertypen mit dunkleren Fusselbärten, die auf ihren mit Skateboard-Aufklebern verzierten Laptops das öffentliche WLAN vom Rathaus anzapften, und ein Mädchen – eine Frau? – in einer gestreiften Strumpfhose unter abgeschnittenen Shorts und einer dreckigen Daunenweste, die im Schneidersitz dasaß und auf einer Akustikgitarre spielte, die genauso vollgeklebt war wie die Laptops. Blonde, derbe und unappetitliche Dreadlocks waren halb unter ihre Wachmannsmütze gestopft. Als Cicero

Weitere Kostenlose Bücher