Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
diese sah, war er sicher, dass er die Frau noch nie gesehen hatte.
    »Guten Morgen, Lydia.«
    »Hey, Sergius!«
    »Das ist mein Freund Cicero. Cicero – Lydia.«
    Cicero murmelte etwas und streckte die Hand aus.
    »Wir wollten ins Ballad«, sagte Sergius. »Magst du mitkommen?«
    Sergius war in der ehrwürdigen Tradition aller blassen Heteros seriell süchtig nach dem verwirklichten Anderen. Jetzt wollte er, dass sein Zauberneger Freundschaft schloss mit – wie nannten seine Studenten diesen Archetyp noch mal? Seinem Manic Pixie Dream Girl. Dieses Exemplar war heruntergekommener als Zooey Deschanel, aber ihre Funktion war mit Händen zu greifen. Cicero hätte Sergius gern zu einer Art Begegnung mit dem fehlenden Körper von Diane Lookinsgenötigt oder ihn wenigstens gezwungen, ihren Kreideumriss zu begutachten und über das Verbrechen ihrer Abwesenheit nachzudenken. Aber damit konnte Diane Lookins nicht konkurrieren, trat überhaupt nicht in Erscheinung. Auch die tobende Rose und die lodernde Miriam, erklärte Gegenstände von Sergius’ Forschungen, konnten da nicht mithalten, waren verblasste, stimmlose Gespenster im Vergleich zu dem, was Sergius da auf einmal vor sich hatte: eine real existierende rattenscharfe Barrikadenbraut.
    Lydia hatte noch nichts gesagt, war aber keineswegs schüchtern. Sie schob ihre Gitarre durch den Schlitz ins Zelt, sprang auf, schob ihr Händchen in Ciceros Pfote – normalerweise fiel Cicero bei Grinsemännern in Anzügen, Dekanen und Treuhändern der Imperativ eines kernig-festen Händedrucks Sekundenbruchteile zu spät ein, der tote Fisch, den er anbot, war eine unüberwindbare lebenslange Gewohnheit – und drückte fest zu. Das brachten durchaus nicht alle Weißen fertig. Sie sah ihm auch in die Augen und zwinkerte in einer Verschwörung der Dreadlocks.
    »Sergius hat gesagt, du wärst praktisch sein Vetter.«
    »Sowas ähnliches.« Cicero drehte sich auf dem Gehweg um und latschte, als ginge es nach Bethlehem, in die Richtung des Lyrical Ballad. Er musste das winzige Spektakel von Occupy Cumbow dringend auf Abstand halten. Er wusste nicht, warum es ihn so wütend machte, aber das Lager war ihm ein Dorn im Auge. Natürlich schlurfte Occupy Cumbow jetzt mit ihm über den Gehweg, Sergius und Lydia liefen neben ihm her. Na, zumindest war das Frühstück ein unantastbares Gut. Cicero malte sich aus, wie er sich im Café das riesige glasierte Bärenklauengebäck mit zwölf Zehen zwischen die Zähne rammen würde.
    Sergius plapperte drauf los. »Ich bin gestern Abend nach dem Essen hier rumgelaufen, Cicero, es war kühler geworden, und ich wollte mir die Innenstadt ansehen. Du hattest gar nicht erwähnt, dass Occupy in Cumbow aktiv ist. In Philadelphia sind wir geräumt worden, aber ich nehm mal an, in Kleinstädten kann man sich noch nachhaltig bemerkbarmachen – jedenfalls, ich komm hier vorbei, und rat mal, was ich da höre.«
    »Was denn?«
    »Lydia hat einen Song meines Vaters gespielt. Ist doch ein Wahnsinnszufall, oder? ›To Pass Beneath the Bower‹. Ich hätte nicht gedacht, dass sich noch jemand an die Platte erinnert, geschweige denn dass jemand, der halb so alt ist wie ich, Songs davon bei einer, ähm, Demo spielt.«
    Halb so alt wie du kommt hin. Aber das schluckte Cicero runter. »Hier war gestern Abend eine Demo?« Das konnte er sich nicht verkneifen.
    »Ich hab den Song bei Demos gespielt«, sagte Lydia und legte nicht mal Wert darauf, trotzig zu klingen. Das Geheimnis ihrer schwerelosen Gewissheit war vielleicht, dass für sie alles zur Demo wurde, sobald sie nach ihrer Gitarre griff. Und wer war Cicero denn schon, dass sie gegen ihn aufbegehren musste? »Er gehört zu den großen Hymnen, und er macht den Leuten Mut.«
    »Das war mir nicht bewusst.«
    »Man muss sich ziemlich viel Text merken, aber die Griffe sind einfach, und man kann ihn in Nullkommanichts anderen beibringen.«
    Bei Cicero stieß das auf reges Desinteresse. Sie hatten das Schaufenster des Antiquariats hinter sich und bogen in die Gasse ein, in der sich der Eingang zum Café versteckte. Es war nicht nötig, jetzt ein Stoßgebet um Abgeschiedenheit gen Himmel zu schicken; Ciceros Kollegen hielten ihre Seminare zum Großteil im zweiten Zeitfenster des Vormittags ab und würden erst mittags wieder im Ballad auftauchen. Die drei konnten sich an einen Ecktisch setzen, und nirgends im Raum war ein bekanntes Gesicht zu sehen. Der Barista gehörte auch nicht zu Ciceros Studenten, was er leider auch

Weitere Kostenlose Bücher