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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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danach starb Ciceros Mutter. Das Festessen war der letzte Anlass, wo er Diane Lookins bei einer öffentlichen Veranstaltung sah, abgesehen vom Tagesraum im Mount Sinai Hospital, in dem sie starb. Und dem offenen Sarg bei ihrer Beerdigung.
    Also ein Abend der ersten und der letzten Male. Denn es war auch das erste und das letzte Mal, dass er Douglas Lookins unter den sagenumwobenen Guardians sah, die in Ciceros Phantasie zu einer Art Harlemer Mafia angewachsen waren. Ein Remake von French Connection als Blaxploitation-Film. Man stelle sich seine Überraschung vor, als er die heimeligen, aufstiegsorientierten Sippen der Streifenpolizisten entdeckte, die in den Saal strömten und im Tumult der Umarmungen und Wiedervereinigungen durchs Foyer sickerten. Polizeiorden klirrten im Takt mit Strassbroschen, alles lachte, trank Liebfrauenmilch, klappte Brieftaschen auf und zeigte Fotos von Abschlussfeiern, bis man in den Saal gedrängt wurde, um wie bei einer Hochzeit die Plätze an den blumengeschmückten runden Banketttischen einzunehmen. Aus Lautsprechern ohne Bässen die Delfonics und Donny Hathaway. Gesäumt wurde der Saal von langen Tischen mit den gerahmten Fotografien uniformierter Mitglieder der Association, die im Vorjahr im Dienst umgekommen waren und deren Porträts von den floristischen Meisterwerken in den Schatten gestellt wurden, die noch protziger waren als die Blumengebinde auf den Tischen. Ein pensionierter hoher Verbandsfunktionär hinkte, begleitet von seiner apfelschrumpligen Frau, auf zwei Krücken zum kleinen Podium und ließ es sich nicht nehmen, der diesjährigen Schar der Gewinner von Universitätsstipendien persönlich die Hände zu schütteln, dem Trio mit übergroßen streberhaften Kassenbrillen aus Schildpatt, angeführtvon Cicero Lookins, dem Gewinner des ersten Preises, der auch schon in Princeton angenommen worden war. Die Zweit- und Drittplatzierten (ein Männlein und ein Weiblein, eins nach Harvard unterwegs, eins zum SUNY Purchase) flankierten ihn wie die Silber- und Bronzemedaillengewinner auf einem Siegertreppchen der Olympischen Spiele – Cicero wollte ihnen erst vorschlagen, konspirativ mit geballten Black-Power-Fäusten zu grüßen, schlug sich das aber schnell aus dem Kopf. Das war also die redselige, familiäre Welt der Guardians, die Solidaritätsutopie der schwarzen Cops, aus deren Mitte Douglas Lookins’ Namensnennung sie ins Exil nach Queens verbannt hatte.
    Oder auch nicht. Vielleicht wäre ihm verziehen worden, hätte Douglas Lookins seinen Stolz gezügelt. Er war schließlich einer von ihnen, ein hochdekorierter Spitzencop, der auf einem Foto neben Bürgermeister Wagner gestanden hatte, und yo, man, jeder Brother weiß doch, wie schwer es ist, sich in einem erzrassistischen System die Schulterstreifen eines Lieutenant zu erwerben. Vielleicht hatten sich Dutzende der anwesenden Männer irgendwann gesagt, Rang wäre wichtiger als Rasse, und ein paar Namen genannt, mit der Innenrevision gekungelt, und nur Douglas Lookins hatte ein Bundesverfahren daraus gemacht. Cicero sollte nie erfahren, was genau das Exil seiner Familie besiegelt hatte. Denn hier hatten die Guardians Douglas Lookins wieder in ihre Mitte aufgenommen und seinem Sohn das Spitzenstipendium gegeben. Warum hatten die Lookins also nicht bleiben können?
    Und wo statt an der Spitze der Pyramide würde Cicero jetzt wohl stehen, wenn sie geblieben wären? Rose hatte in Queens auf sie gewartet und ihn auf dieses Podium geschubst, um den Scheck der Guardians in Empfang zu nehmen. Nicht nur im allgemeinen Sinn, weil sie ihn zu seinen schulischen Meisterleistungen angespornt hatte, sondern auch im speziellen, denn sie hatte verlangt, er solle sich über die Einwände seines Vaters hinwegsetzen und die Bewerbungsunterlagen für das Stipendium der Guardians anfordern. Rose erledigte den Papierkram, Diane unterschrieb, und ihr Schweigen war erstens eine Billigung des Tuns ihres Sohns, zweitens ein Aufstand gegen ihrenMann und drittens eine erneute kontaktlose Zusammenarbeit mit der Geliebten ihres Mannes. Falls Douglas die Unterlagen überhaupt in der versandfertigen Post sah, sagte er nichts. Vielleicht hatte Rose die Angelegenheit mit ihm diskutiert. Bloß sah er Rose in dieser Zeit schon nicht mehr so oft.
    Jetzt saßen sie, während Cicero dastand und sie alle drei vom Podium aus sah. Douglas und Diane Lookins grimmig und steif ganz vorn, an einem Tisch mit den Eltern der Nächstplatzierten und ein paar

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