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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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in den Kulturwissenschaften vertraut machen, Sergius. Was du hier verächtlich Abheulen nennst, könnte gar nicht politischer sein, denn es geht darum, die verbannten Emotionen eines Subjektkörpers einem anderen zu vermitteln. Es geht um den Affekttransfer.« Das stimmte, brachte aber nichts. Weil er sich mit Feindseligkeit panzerte, wurden Ciceros ehernste Überzeugungen zu Jargon und Müll, zu modrigen Pilzen in seinem Mund. Außerdem hatte er nicht sonderlich auf die Einlassungen seiner Studenten geachtet, sondern sich mit dem gehärteten Schild seiner eigenen Abheulgeschichte gegen die ihren gewappnet.
    »Ich muss gestehen, es überrascht mich, dass du das verteidigst, denn ich hatte den Eindruck, du wärst so ziemlich in der Luft zerfetzt worden. Ich dachte, das alles wäre eine perverse Demonstration um meinet willen.« Cicero sah, dass Sergius’ Wangen neben dem puterroten Theater aus Haaren, Sommersprossen und Sonnenbrand auch von heißer Unerbittlichkeit gerötet waren. »Deine Studenten können einem leidtun, und am Ende hast du mir leidgetan, und nur deshalb hab ich dich zum Frühstück eingeladen, aber das war wohl ein Fehler.«
    » Du hast mich hierher eingeladen?« Cicero hatte Mühe, nicht zu explodieren.
    »Du bist ganz schön herablassend, Cicero, aber du vergisst, dass auch ich unterrichte.«
    »Ich dachte, du wärst hier als Songschreiber. Aber du hast ja nicht mal eine Gitarre mitgebracht. Ein Lehrer, okay, wie du meinst. Aber heute hast du bei mir im Seminar gesessen, und das macht dich zum Studenten.«
    Lydia sagte: »Also ich find ja, das klingt voll krass . Ich will mich in einer dieser Unistädte schon die ganze Zeit mal in so ein Seminar setzen. Ich hätte mit deinem anfangen sollen.«
    Sergius war über die Ablenkung offenkundig erleichtert. »Lydia und ich haben uns schon gefragt: Weißt du zufällig, ob sich von deinen Studenten welche bei Occupy engagiert haben? Sie hat gesagt, im Camp haben sie sich nicht wirklich blicken lassen.«
    Cicero überhörte die Frage. Soweit er wusste, betrachteten seine Studenten die Bewegung mit demselben Agnostizismus wie eine Social-Media-Website, zu der sie noch keine Einladung bekommen hatten. »Was hat dich überhaupt nach Cumbow gebracht, Lydia?«
    »In Neuengland gibt es zwölf Occupy-Zeltlager, die immer noch erfolgreich sind. Mir ist in einem Traum erschienen, dass meine Gibson und ich uns in allen davon wenigstens ein paar Nächte lang unter die Demonstranten mischen sollten, deswegen bin ich hier, was an sich schon ganz schön verrückt ist, aber es war auch eine superlässige Erfahrung, auf die ich um nichts in der Welt verzichten möchte. Es ist genau, wie du gerade gesagt hast, Cicero: Körper tragen Botschaften vom einen Ort zum anderen. Ich muss heute noch nach Portland weiter, auch deswegen ist das Timing absolut perfekt, dass Sergius genau gestern vorbeigekommen ist.«
    »Du fährst sie nach Portland?«
    Spielend übersah Sergius Ciceros Hohn. »Ja. Wir sollten uns langsam auf den Weg machen, Lydia. Wir müssen ja noch deine Sachen abholen.«
    »Allzeit bereit!«, sagte Lydia und versprühte Kuchenkrümel. »Hab ja nur Klampfe und Schlafsack.«
    »Dein Gästezimmer hab ich schon geräumt, Cicero. Das Haus hab ich nicht abgeschlossen, ich hoffe, das ist okay.«
    »In Maine wird nichts abgeschlossen.«
    »Klasse. Na, dann vielen Dank. Man sieht sich.« Sergius hielt Cicero die Hand hin – toter Fisch traf toten Fisch. Für Sergius war die Romanze also abgeschlossen, und wenigstens dieses Gefühl war gegenseitig: Auf der Strichliste noch ein Triumph für die Affekte.
    Und auch wenn es noch nicht einmal elf Uhr morgens war, erwartete Cicero an diesem Tag noch eine weitere Kränkung. Völlig unerbeten, aber genauso unbestreitbar präsent baute sich Vivian Mitchell-Rose, die stellvertretende Studiendekanin, über ihm auf, Ciceros schwarze Waffenschwester in der weißen Wüste von Cumbow und häufiger auch mal seine Lästerpartnerin in so verbrühenden Tönen, wie die Mehlnasendas nur fürchten konnten, die Zeugen wurden, wenn sie über einem Restauranttisch oder hinter einer halb offenen Bürotür die großen schwarzen Köpfe zusammensteckten. Kollegen der inoffiziellen Guardians Association an der Alma Mater – aber vielleicht ähnelten sie auch eher den Wandering Boys oder den Buffalo Soldiers, denn in den heiligen Hallen der Wissenschaft schmissen Schwarze in der Regel keine Festbankette und veranstalteten keine Picknicks zum 4. Juli,

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