Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
romantische Abenteuer gestürzt hast. Ich wage die Aussage, dass du mich an mich selbst erinnerst! Ich halte Dich nicht nur als Tochter in den Armen, sondern auch als neue Freundin.
Nach den Vorwürfen, die Du mir sowohl persönlich als auch inBriefen gemacht hast, sollte ich es lieber nicht riskieren, Deine Mutter zu erwähnen, aber auch Dir ist sicher klar, dass die Szene, die Du in Deinem Brief schilderst, von unwiderstehlicher Komik ist, auch wenn sie sicher großes Unbehagen verursacht hat. Die Vorstellung, wie Rose mit einem Rabbi im Schlepptau ins Haus des Negergeistlichen gerauscht kommt und in letzter Sekunde fordert, dass Deine Eheschließung gemäß jüdischem Ritual stattfindet, hat die Qualität eines Gedichts, wie ich zugeben muss. Für Rose war von Natur aus immer alles auch sein Gegenteil. Dieses plötzliche Kuschen vor der religiösen Autorität, ein Relikt ihrer Herkunft, das sie nach eigenem Bekunden irgendwann in der Jugend überwunden hat, ist ein unschätzbarer Beweis. Aber im wahrsten Sinne muss Rose ja auch die einzige Autorität in der unmittelbaren Nachbarschaft gewesen sein, da seien Euch der Rabbi und der Negergeistliche unbenommen. Du erwähnst nicht (und überlässt mir also das Mutmaßen), ob Du den Wünschen Deiner Mutter nachgekommen und im Schoße Abrahams geweiht worden bist.
Die Langspielplatte, die Du mit separater Post geschickt hast, ist ebenfalls unversehrt eingetroffen, und ich nehme sie anstelle von Fotografien des großen Tages an – ich wüsste nur gern, ob die Brüder bei den Feierlichkeiten alle zusammen gesungen haben und ob der Rabbi dann eingestimmt hat? Dein rothaariger Junge besitzt in Stimme und Miene eine unbefangene Lebensfreude, und ich kann nur zu gut verstehen, dass er Dich entzückt. Da ich eine gewisse Kritik meiner herablassenden Art usw. noch im Ohr habe, verkneife ich mir Bemerkungen zum »politischen« Gehalt der Songs, die er, wie Du schreibst, seither komponiert hat.
Bitte lass mich wissen, und sei es nur per Postkarte, ob mein Päckchen Dich erreicht hat. Michaela und ich senden Thomas und Dir unseren Segen,
»Dad«
—
23. Mai 1961,
Werkhofinstitut Rosa Luxemburg, Dresden
Liebste Miriam,
ich schreibe Dir nur schnell, weil ich mich von ganzem Herzen entschuldigen möchte, falls ich Dich mit meiner »Flapsigkeit«, wie Du sie nennst, gekränkt habe – ich war überglücklich, als ich Deinen Brief gelesen hatte, und wollte dieses Glück nur mit Dir teilen. Mir ist klar, dass Dein Besuch hier bei uns für Dich nicht ganz einfach war, und es lag mir fern, die Ernsthaftigkeit Deiner Gefühle oder Deiner neuen Verbindung durch das Wort »Abenteuer« herabsetzen zu wollen. Was andere Themen angeht, die weniger intimer als ideologischer Natur sind, so würde ich diese gern auf künftige Gespräche verschieben und darauf hoffen, dass es oft die Gelegenheit zu solchen geben wird. Bitte glaube einem Vater seine Zerknirschtheit und lass mich wissen, ob das Buch von Th. Mann wohlbehalten angekommen ist, ich sorge mich manchmal wegen der Post!
Dein Dich liebender »Dad«
Albert
—
12. Dezember 1968,
Vitzthumstraße 5, Dresden
Liebe Miriam,
offenbar bedurfte es des Schocks Deines Berichts über Alma, um die Blockade zu überwinden, die mich davon abhielt, Dir zu schreiben. Dies ist, offen gestanden, der vierte Versuch, und ich hoffe, diesen nun endlich abschicken zu können. Nicht dass es mir schwerfiele, Dir zu schreiben, im Gegenteil, ich erinnere mich immer noch mit warmen und herzlichen Gefühlen an unsere viel zu kurze familiäre Wiedervereinigung und habe immer wieder gehofft, sie würde sichwiederholen lassen, aber was für mich einen »echten« Brief ausmacht, braucht Zeit und Muße, was beides in meinem immer noch ziemlich hektischen Leben nur zu einem Aufpreis zu haben ist. Ich versuche zwar, es ruhiger angehen zu lassen, aber die Arbeit verlangt mir immer noch sehr viel ab, dagegen ist einfach nichts zu machen. Übrigens habe ich in jüngster Zeit reisen können. Im September war ich zu Recherchezwecken in Spanien und habe den Schauplatz der sattsam bekannten »Guernica«-Greueltaten besucht, die die Propaganda des Westens, was Dich wahrscheinlich nicht weiter überraschen wird, übertrieben und verzerrt hat. Danach wurde Michaela und mir ein Urlaub am italienischen Gardasee bewilligt, wo ich viel geschwommen bin und ansonsten sehr faul war. Danach sind wir anlässlich meines Geburtstags nach Verona gefahren und haben in dem riesigen
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