Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
den Plastikmüll. Du sollst nicht verlangen, was in den Werbeblöcken der »Looney Tunes« beworben wird. Du sollst dir nicht G. I. Joe wünschen, die ekelhafte Ikone des Militarismus. Du sollst nicht begehren die gezuckerten Corn Flakes. Deine Bauklötze seien aus Holz. Altes war besser als Neues, Weniger fand den Vorzug vor Mehr,kollektiver Besitz war allem Gehorteten überlegen. All das lief Weihnachten und Santa Claus zuwider. Die Welt des Jungen, sein Zimmer, war weniger bar des Spielzeugs oder der Bücher, als dass Spielzeug oder Bücher dort nur hindurchtrieben. Dinge, die weitergereicht worden waren und wahrscheinlich wieder weitergereicht würden, in die Zeitlosigkeit getragen, wurden durch diesen liebevollen Gebrauch von ihrem kontaminierten Warencharakter gereinigt, selbst wenn sie Kommerzikonen wie Snoopy oder Barbie darstellten. Gab es Ausnahmen? Tommy blies gern Luftballons auf. Mit dem Jungen im Schlepptau kaufte er in der Bodega an der Avenue C Luftballons – Päckchen zu neununddreißig Cent, die bunt genug waren, um Kinder zu ködern, aber nicht dem Sperrgebiet von Süßigkeiten, Kaugummi oder Baseball-Sammelkarten angehörten –, und die er nach der Rückkehr in die Kommune einen nach dem anderen aufblies. Der Junge sagte sich, Luftballons wären erklärtermaßen »neu«, denn er hatte ja gesehen, wie sie gekauft worden waren. Aber sie waren keine Geschenke. Waren eigentlich auch kein Spielzeug. Waren strenggenommen nicht einmal nur für Kinder da, denn wenn sich die Haschischschwaden in den Zimmern verdichteten, spielten auch die Erwachsenen mit ihnen.
Bei einer Andacht im 15 th Street begegnete Sergius Gogan eines Dezemberabends aber Santa Claus oder jemandem, der wie er gekleidet war, und bekam ein Geschenk. Santa Claus erschien bei einem Fest zu einem Quäker-Feiertag, scharte die Kinder um sich, griff in einen Sack und legte es ihm in die Hände: etwas Neues, das Sergius ganz allein gehörte. Diese Einzigartigkeit wurde auch von dem verschwenderischen, leuchtend roten und grünen Geschenkpapier betont, das nur existierte, um Sergius einen Augenblick lang zu erfreuen, und dann zerrissen und weggeworfen wurde.
Darunter war das Buch über den Stier.
Der Ort, an dem die Andacht stattfand, hieß »15th Street«, was aber nichts mit der Lage im Betonraster der Halbinsel zu tun hatte, er lag in einem geschlossenen Geheimgarten und wurde Sergius’ Refugium. Hier entkam er den ungezügelten Exzessen seines Alltags sowohl inder Kommune als auch an der 7th Street, wo er manchmal zu den Straßenkindern auf den müllübersäten Brachflächen von Alphabet City schlich, während Miriam auf einem geeigneten Aussichtspunkt ihrer Treppe Wache stand. Tommy zog es im Rahmen seiner pazifistischen Aktivitäten immer mehr zu den Quäkern, und nachdem Miriam achselzuckend eingewilligt hatte, brachte er Sergius zur dortigen Sonntagsschule. Was sich da ereignete, konnte man praktisch keine fünf Minuten im Kopf behalten: ernsthaftes Bibelstudium, Bastelprojekte, die sich mit der Misere der amerikanischen Ureinwohner auseinandersetzten, und fünfzehn Minuten lange Teilnahmen an der Andacht in dem riesigen und geheimnisvollen Saal, wo sein Vater unter Hunderten von Menschen saß, die alle schweigend darauf warteten, dass etwas in sie fuhr und sie dazu brachte, aufzustehen und Zeugnis abzulegen, ein erhebendes Tun, das regelmäßig von unverständlich gemurmelten Vorträgen über verschiedenste unzusammenhängende Themen unterbrochen wurde.
Die Gemeinde bildete eine seltsame Mischung aus jungen Hippies und dem klapprigen Kern des Quäkertums, der große Ähnlichkeit mit den Alten hatte, an denen man überall in der Stadt vorbeikam, ohne ihnen je Beachtung zu schenken. Doch irgendwie hatte man das Gefühl, beide Gruppen wären übereingekommen, die Unterschiede verschwimmen zu lassen: Die Hippies kleideten sich weniger extravagant, als sie das, wie Sergius vermutete, gern getan hätten, entschieden sich für die trostlosesten Farben in ihren Kleidertruhen, stopften Knöpfhemden in die mit Gürteln zusammengehaltenen Jeans, und Männlein wie Weiblein bändigten die langen Haare zu Pferdeschwänzen; die Älteren dagegen machten von ihrem Ende aus Zugeständnisse und trugen Blumenwesten und Mokassins, die Männer ließen sich überraschende Vollbärte stehen, und die Frauen legten klobige Halsketten an. Auch sonst traf man sich in der Mitte: Alle waren ruhig, besonnen und übertrieben sanft. So sehr sie sich auch
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