Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
nicht gut genug. Die Sprechübungen nach der Schule waren kein Wahlfach – mit zehn und elf Jahren hat Miriam Passagen aus Somerset Maughams Silbermond und Kupfermünze einstudiert und als Zeichen, dass sie den Kurs erfolgreich abgeschlossen hatte, eine 78er Schellack-Platte mit nach Hause gebracht. Weitergehendes und authentisches Jiddisch hat Miriam nur am Rande gehört, in den kollektiven Hinterhöfen und bei Besuchen ihrer Tanten und Onkel, den entfernteren Angrushs, die keine Scham kannten und in ihr Palaver sowohl einen stetigen Strom von Wörtern wie fermischt und schteigs und mischpoche und zutschepenisch einfließen ließen als auch vollständige angelsächsische Sätze, mit syntaktischen Hebungen und Senkungen aus dem Schtetl durchzogen.
Mit anderen Worten, Rose selbst hatte Miriam wider besseres Wissen die Abneigung gegen Zweitsprachen eingeimpft, ein Überbleibsel ihrer eigenen ursprünglichen und verdrängten Zweisprachigkeit. Wenn sie einerseits das Spanischlernen verweigerte, wollte Miriam nicht Rose sein, andererseits wollte sie Rose sein, die versuchte, keine Rose zu sein, die Jiddisch sprach. Welchen Sinn sollte das haben? Warum gab sich eine trotzige Proletin soviel Mühe, wie die Oberschicht zu sprechen? Warum zeigte jemand, der so eifrig die Wunden eines Volks im Exil präsentierte, einen solchen Widerwillen dagegen, die Muttersprache der Unterklasse zu sprechen? Nun, neben dem hilf losen Glaubenan sprachliche Schicklichkeit und der Angst vor Schmutz und Chaos steckte in Roses Verherrlichung der englischen Hochsprache auch immer noch ein Körnchen Hoffnung auf den Kommunismus. Wenn man die jiddische Jauche loswurde, wurde man vielleicht auch Religion und Geschichte los. Man bereitete sich auf die leuchtende Zukunft vor. War das ein Widerspruch? War es. Vielleicht war es sogar fermischt, so fermischt wie eine Tochter, die statt Spanisch Französisch lernte und dann durchrasselte.
Peter Matusevitch punktet jetzt bei »Wo« und kann »La Paz« als die bolivianische Stadt nennen, die als »Stadt des Friedens« bekannt ist. Miriam ist dankbar, dass ihr die »Was«-Kategorie erspart geblieben ist, leidet dann aber doppelt, als Art James Graham Stone folgende Frage stellt: »Der von vielen politischen Gruppierungen in Lateinamerika verwendete Ausdruck Venceremos ist die spanische Übersetzung eines bekannten Mottos, das viele Bürgerrechtsbewegungen unseres Landes im Munde führen. Können Sie diese Wendung mit drei Worten nennen?« Stone streicht sich über die Fusseln unter dem Kinn und sagt süffisant: »We shall overcome.« In den Annalen menschlicher Rede hatte der Satz vielleicht nie weniger Inspirationskraft. So langsam hasst sie vielleicht auch Stone.
Matusevitch $ 235 Gogan $ 45 Stone $ 185
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Goodman, Schwerner und Chaney. Diese Kategorie gibt es nur in ihrem Kopf. Im Abgrund, der zwischen den Übergängen aufzuklaffen scheint, schreibt Miriam die Show nach ihren eigenen Vorlieben um, erträumt sich Entschädigungen für ihre beschissenen Chancen auf ein Comeback und schürt ihre Heiterkeit und ihren Zorn. Alle drei – Entschädigung, Heiterkeit, Zorn – verschmelzen im Moment untrennbar zu einer Taktik, um die nächste Frage zu überstehen, falls ihr noch je eine gestellt wird. 1967 verurteilte Bundesrichter William Harold Coxvom Southern District in Mississippi eine Gruppe von Angehörigen des Ku-Klux-Klan, die gemäß dem Force Act angeklagt waren, drei Jahre zuvor in Mississippi die drei Bürgerrechtler Goodman, Schwerner und Chaney ermordet zu haben. Mit welchem denkwürdigen Satz kommentierte der Richter später sein Vorgehen? Er sagte: »Sie haben einen Nigger, einen Juden und einen Weißen umgebracht. Alle haben bekommen, was sie meiner Meinung nach verdient haben.« Wenn Miriam im Freedom Summer selber nicht nach Mississippi gegangen ist, dann nicht, weil die Sache sie gleichgültig gelassen hätte: Sie war vielmehr daran gehindert worden. Miriams Versagen beim Wer-Was-oder-Wo-Spiel (denn es ist ein Versagen, da kann sie sich jetzt schon nichts mehr vormachen) erinnert sie an das Gespräch mit dem Anwerber vom Congress of Racial Equality zu Beginn des Freedom Summer.
Goodman, Schwerner und Chaney wurden in einem Erddamm im Wald verscharrt, und ihre Leichen wurden vom FBI erst nach einer ausgedehnten Suche in einem hundert Quadratkilometer großen Gebiet im Hinterland von Mississippi gefunden. Wieviele andere Leichen unidentifizierter schwarzer Männer, die vermutlich vom
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