Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Foto, zu dessen Ehren sie hier angetreten ist, auch wenn er davon nichts ahnen kann, und Art James trompetet ein »Das ist richtig!« auf ihre peinlich einfache Antwort und deckt sie wieder mit gönnerhaften Gratulationen zu ihrem Comeback und dieser respektablen Leistung ein. Sie wird einen Scheck über zweihundertachtzig Dollar erhalten. Außerdem hat sie zeitlebens ein Anrecht auf Adorn-Haarspray, das von einem Sponsor der Sendung gestiftet wird – »zeitlebens« bedeutet dabei, dass zwei Monate später ein großer Pappkarton mit zwanzig zylindrisch geformten Spraydosenan ihre Adresse geliefert wird, denen eine Bescheinigung beiliegt, der zufolge sie jederzeit um Nachschub bitten kann.
Es ist dann Stella Kim, die gemäß den zeitgenössischen Yippiemethoden aus den miesen Artefakten einer kommerzialisierten Welt absurde politische Gesten destilliert – Miriam und sie haben immer wieder Spaß daran, Eisbergsalatköpfe in Tiefkühltruhen zu legen, dänische Fünf-Öre-Stücke oder Pennys aus Trinidad in die Münzschlitze öffentlicher Telefonzellen zu stecken, stapelweise Werbebriefe zu öffnen und die Porto-zahlt-Empfänger-Rückumschläge verhasster Konzerne mit eigens zu diesem Zweck am frühen Morgen geklauten Käse-Scheibletten zu füllen und wieder in den Briefkasten zu werfen, damit sie fettfleckig und stinkend an ihren Ursprungsorten ankommen –, in diesem Geiste also schlägt Stella eines Tages vor, dem Aufruf des American Friends Service Committee zur Sammlung von Hilfsgütern für die Bürgerkriegsflüchtlinge in den Bergen von Guatemala zu folgen, und so bringen Miriam und sie die unpassende und schon angestaubte Adorn-Kiste zu den AFSC-Räumlichkeiten und stellen sie zu den anderen Sachen. Und auch wenn der Wunsch nicht gerade dem Pazifismus der Friends entspricht, hofft Miriam doch insgeheim, dass die Guatemalteken einen Weg finden werden, um Art James’ Beitrag zu ihrem Kampf in Flammenwerfer zu verwandeln. Oder Bomben.
Dass Rose Zimmer ihre langen Jahrzehnte in Sunnyside Gardens verlebte, kam folgendermaßen: Es war der Ersatz für eine jüdische Farm in New Jersey.
Ihr nagelneuer Ehemann war zwei Männer in einem, ein Jude und ein Deutscher. Der Jude in ihm wollte Städte. Der Deutsche wollte Wälder. Der Deutsche wollte einen Bauernhof. Der Deutsche in ihm, Gott segne sie beide, dessen Vater ein Bankier und dessen Mutter eine Opernsängerin und Gesellschaftsdame gewesen war, der Deutsche, der nur Urbanität und Kultur kannte, dem Marx den ersten und entscheidenden Stromschlag bei Salongesprächen versetzte, bei Tee, Keksen und intellektueller Konversation, der Deutsche, der, als er seine Genossen kennenlernte, den eigentümlichen Geschmack intellektuellen Austauschs entdeckte, der seine Passivität galvanisierte und sein Leben neu ordnete, ihn mit Stolz auf revolutionäre Potentiale erfüllte – obwohl alles ein intellektuelles Geplänkel blieb, ein Gedankenaustausch im Wohnzimmer, bei dem man die hübsch auf einem Teller angeordneten Kekse weiterreichte –, dieser Deutsche in ihm wollte plötzlich einen Bauernhof. Wollte Hühner, sagte er. Würde Hühnerställe ausmisten, Hühnereier sammeln und Hühnern notfalls die Hälse umdrehen.
Und so fand sich Rose, geb. Angrush und frischgebackene Rose Zimmer, in einem Packard auf der Fahrt nach Süden, ließ die Grenzen der zivilisierten Welt hinter sich und wagte sich in die Wildnis hinter der Stadtgrenze von Newark, um den Kauf einer Parzelle in den sogenannten Jersey Homesteads in Betracht zu ziehen. Albert warmit der Idee des Ausflugs sehr kurzfristig herausgerückt und hatte nur vage gesagt, es gäbe da Leute, mit denen er sprechen müsse, und wie eine Lappalie hinzugefügt, sie solle es als künftiges Zuhause der Familie in Betracht ziehen. Albert hatte die fast schon Kreischende mitschleifen müssen, konnte das staubige, klapprige, geliehene Fahrzeug kaum kompetent steuern, hatte auch praktisch keine Ahnung vom Autofahren gehabt, bevor er vor ein paar Monaten die fixe Idee entwickelt hatte, seinen Führerschein zu machen. Und als sie durch eine ganz normale Kurve der Landstraße schleuderten, streckte Rose die Hand nach unten und griff nach dem gerade erschienenen und aus der Bibliothek von Jefferson Market ausgeliehenen zweiten Band von Carl Sandburgs Abraham Lincoln. Die Kriegsjahre, den sie als Überlebensration auf die heutige Landpartie mitgenommen hatte: etwas zu lesen. Sie umklammerte den dicken Einband, als schickte sie ein
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